High Noon um Brexit, Europa und Boris Johnson, Analyse im ORF, 5.9.2019

Die Situation im britischen Unterhaus sieht so verfahren aus, wie vor einem halben Jahr. Hat sich seit dem Rücktritt von Theresa May und der Übernahme durch Boris Johnson eigentlich irgendetwas verändert, oder treten wir am Stand? Die Bürger in Großbritannien scheinen ja ziemlich genervt zu sein.
Land ist gespalten wie eh und je, die Parteien sind gespalten, das ist gleich geblieben.
Aber einen Unterschied gibt es schon: vor einem halben Jahr gab es einen innerparteilichen Oppositionellen namens Boris Johnson, der hat gesagt er wird alles anders machen, der von sich sagt, er vertritt das Volk, so wie das andere Populisten auch von sich behaupten, und er kann als Führungsfigur diese Spaltung überwinden.
Das hat nicht funktioniert.
Boris Johnson hat gestern die Kontrolle verloren und er muss jetzt versuchen diese Kontrolle wieder zurückzugewinnen.
Dieser Kontrollverlust durch Johnson gibt den Gegnern eines ganz radikalen Brexit bessere Chancen sich durchzusetzen. Es ist eine Koalition von EU-Befürwortern und Abgeordneten, die mit der EU verbunden bleiben wollen. Und die sind eine neuerliche Verlängerung der Zeit bis zum Brexit durchzusetzen.
Was bringt es, wenn nicht am 31.Oktober der Austritt kommt, sondern es in drei Monaten einen neuen Termin gibt? Das wäre die dritte Verschiebung ohne Lösung.
Natürlich, Lösung ist das keine. Aber ein No-Deal-Brexit würde einen riesigen Schaden anrichten, einen Schaden der irreparabel wäre. Davon ist die Mehrheit im Unterhaus überzeugt, davon sind auch die Europäer überzeugt. Einmal eine katastrophale Scheiden zu erst einmal zu vermeiden, das ist dann das klügste, auch wenn man nicht wie, wie man in Zukunft zusammenleben soll.
Das mag vielen Bürgern auf die Nerven gehen, aber es ist auch ein Zeichen von Veranwortungsbewusstsein.
Das hat mit Europa zu tun. Europa ist so zusammengewachsen, auch mit Großbritannien, dass es in Wirklichkeit gar nicht mehr möglich ist, alles Auseinanderzureißen.
Die Mehrheit der Abgeordneten hat das realisiert und sucht nach einem Ausweg. Das kann auch als Zeichen der Stärke des Parlamentarismus gesehen werden. Dass sich diese Einsicht im Parlament durchgesetzt hat.
Was spielt das Oberhaus jetzt für eine Rolle?
Die Lords sind ja nicht gewählt, das ist keine demokratische Institution, die Sitze werden vererbt. Sie können kein Veto einlegen gegen ein Gesetz oder etwas grundlegend verändern, aber sie hätten es verzögern können. Denn ein Gesetz muss das Oberhaus passieren, bevor es der Queen zur Unterzeichnung vorgelegt wird, erst dann bekommt es Gültigkeit.
Gestern war noch die Sorge, dass die Brexit Hardliner versucht sein könnten sein im Oberhaus das Prozedere in die Länge zu ziehen, durch Dauerreden oder Abänderungsanträge.
Aber da ist jetzt gestern Nacht ein Riegel vorgeschoben worden durch einen Geschäftsordungsbeschluss. Die Mehrheit der Lords ist gegen No Deal. Das NoDeal-Gesetz wird noch am Montag vom Oberhaus dem Unterhaus zurückgegeben, dort wird es durchgewunken und die Queen unterzeichnet, dann gilt dieses No-Deal-Gesetz.
Es bedeutet, Boris Johnson muss neuerlich um eine Verlängerung ansuchen, wenn er bis zum Austrittstermin am 31.Oktober keinen Kompromiss mit den 27 EU-Staaten findet, den er auch im Unterhaus durchbringt.
Das zu tun hat Johnson bisher immer abgelehnt, er sitzt in der Falle..
Um aus dieser Falle herauszukommen, wollte Johnson Neuwahlen am 15.Oktober, die er aber auch nicht durchgebracht hat. Was sollen denn Neuwahlen bringen?
Boris Johnson glaubt, dass er bei Wahlen für die Torys gewinnen kann, weil er den radikalen EU-Gegnern der Brexit-Partei Stimmen wegnimmt und weil die Labour Party einen umstrittenen Parteichef hat mit Jeremy Corbyn. In den Umfrage legen die Torys auch zu, seit Boris Johnson Parteichef ist.
Gewinnt er Wahlen, dann säße Boris Johnson für die nächste Zukunft fest im Sattel.
Das weiß auch die Labour Party und das wissen auch die anderen Oppositionsparteien, daher erst einmal das Nein zu sofortigen Neuwahlen.
Labour sagt: wenn es zu einem Wahlkampf kommt, werden wir als größte Oppositionspartei als Wahlziel ein zweites EU-Referendum vorschlagen. Die Wähler sollen noch einmal gefragt werden, es soll auch die Möglichkeit geben, den ganzen Brexit abzublasen. Das wäre sicher kein schlechter Ausweg.

Aber das ist jetzt ein hochriskantes Spiel mit Terminen, mit Gesetzen, mit obskuren Präzedenzfällen und Verfahrenstricks.
Zu Ende ist dieses Spiel noch nicht.

 

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