Warum Europa zum Gazakrieg nicht mehr einfällt, als zahnlose Aufforderungen zum Waffenstillstand, wurde Sebastian Kurz nach dem letzten EU-Außenministerrat gefragt. Der junge Minister aus Österreich zuckte ratlos die Schultern. Was sollen wir denn tun? Einen europäischen Militäreinsatz in Gaza kann sich ja wohl kaum jemand vorstellen, meinte Kurz . Etwas bombastischer, aber genauso hilflos klang Frankreichs Laurent Fabius, der gemeinsam mit Großbritannien für den Nahen Osten traditionell die EU-Linie vorgibt.
Das Ringen um einen Waffenstillstand überlassen die Europäer den USA. „A hell of a pinpoint operation“, „Grandios gezielt, diese Operation“, ätzt Außenminister John Kerry nach der Bombardierung des Wohnviertels Chujaya in Gaza Stadt. Mit dem vierten Angriff auf eine überfüllte UNO-Schule in Gaza verliert die pauschale Rechtfertigung der Israelis ihre Kraft: dass Selbstverteidigung gegen palästinensische Raketen hunderte getötete Frauen und Kinder legitimiert, klingt nicht mehr überzeugend. Müsste nach der Logik der Selbstverteidigung nicht auch die Bevölkerung von Gaza das Recht haben, sich gegen Israel zu wehren, fragt Rolf Verleger, dissidentes ehemaliges Direktoriumsmitglied des Zentralrats der Juden Deutschlands?
Jon Stewart, der König satirischer Newsshows in den USA, machte sich in der „Daily Show“ über die Allgegenwart der Propaganda lustig. Im Moment, in dem er „Israel“ sagt, springen lautstark fanatische Proisraelis ins Bild. Nimmt er das Wort „Hamas“ in den Mund, stürmt eine andere Gruppe vor die Kamera und denunziert ihn als Apologeten zionistischer Kindermörder. Warum reden wir nicht über etwas einfacheres, seufzt der Talkshowmaster schließlich, „zum Beispiel die Ukraine.“
Eine Gallup-Umfrage belegt: die bedingungslose Solidarität mit dem jüdischen Staat geht bei den Jüngeren dramatisch zurück. Unter den 18-29jährigen Amerikanern unterstützen nur 23 Prozent das israelische Vorgehen gegen Gaza. Nach drei Wochen Zerstörung war für die Bündnistreue der USA ein Waffenstillstand dringend nötig.
Der übervölkerte Gazastreifen ist das größte Freiluftgefängnis der Welt. Seit sich 2007 Hamas an die Macht geputscht hat, wird die Blockade aus der Luft, zu Land und zu Wasser immer enger. Der Militärputsch gegen die Moslembrüder in Ägypten hat die palästinensischen Islamisten zusätzlich isoliert. „Ein unterdrücktes Volk wird immer versuchen, sich zu erheben,“ schreibt lakonisch New York Times-Kolumnist Roger Cohen, „Das ist der Lauf der Dinge.“
Soll es nicht alle paar Jahre zu Minikriegen kommen, was die Vorstellung der regierenden Rechten in Jerusalem zu sein scheint, muss Hamas in einen Verhandlungsprozess eingebunden werden. Auf Grund des Traumas von 9/11 kann keine amerikanische Regierung diesen Schritt tun. Europa ist gefragt die Blockade zu überwinden.
Als Bruno Kreisky 1979 Jassir Arafat in Wien empfing, galt die PLO als Terrororganisation. Die Anerkennung Israels war bei den Palästinensern tabu. Israelis war es verboten mit der PLO auch nur zu sprechen. Um Frieden ringen muss man mit seinen Feinden, ließ der österreichische Kanzler die entsetzte israelische Arbeiterpartei wissen. 15 Jahre später erhielt Arafat gemeinsam mit Schimon Peres und Jitzhak Rabin den Friedensnobelpreis.
Die PLO kehrte auf die Westbank zurück, aber der versprochene Palästinenserstaat ist in weiter Ferne. Präsident Mahmoud Abbas, dem Erben Arafats, droht die Isolation, weil er den jüdischen Kolonisierungsprozess der Westbank nicht verhindern kann. Raketenstellungen und Tunnels konnten die Israelis zerstören. Aber unter dem Beschuss der feindlichen Streitkräfte rücken die Palästinenser zusammen. Hamas gehört zum politischen Spektrum des Volkes. Die Forderung nach einem Ende der Blockade für Gaza eint alle Fraktionen.
Die Fundamentalisten sind gesellschaftspolitisch reaktionär. Den Kampf gegen Israel verbindet Hamas mit antisemitischen Stereotypen. Das israelische Rechtsaußenlager revanchiert sich mit kaum weniger rassistischen Parolen. Europäern und Amerikanern gilt Hamas als Terrororganisation, mit der politische Kontakte unmöglich sind. Aber in der Geschichte des Nahostkonflikts haben alle Akteure zu Terror gegriffen. Verhandlungen sind die einzige Alternative zu Massakern und Kriegen.
Der schlimmste Kollateralschaden ist emotional: die beiden Völker, die gezwungen sind zusammen zu leben, können sich das Zusammenleben nicht mehr vorstellen. Die politischen Aufräumungsarbeiten müssen von außen kommen. Europa sollte mit Hamas als Produkt der Geschichte eines unterdrückten Volkes umgehen, einen Gesprächskanal zu Hamas-Chef Khaled Meschal im Exil in Katar eröffnen und mit der vor dem Krieg gebildeten palästinensischen Koalitionsregierung offizielle Beziehungen aufnehmen.