Schritt für Schritt entwickelt sich einer der großen Skandale des Putinismus zur schweren Belastung für die Stellung Russlands in der Welt. Vorgeprescht waren die USA. Der Senat in Washington hat eine schwarze Liste von 60 russischen Spitzenbeamten erstellt, die mit Einreiseverbot belegt wurden, weil sie nach amerikanischer Sicht 2009 in den Prügeltod des russischen Korruptionsaufdeckers Sergej Magnitski im Moskauer Untersuchungsgefängnis Butyrka verwickelt waren. Eine Maßnahme, ganz wie in der Zeit des Kalten Krieges. Beim gemeinsamen Aufritt in Brüssel musste sich Putin auch von EU-Ratspräsident Herman van Rompuy anhören, wie ernst der Fall Magnitski genommen wird.
Russland revanchierte sich für die US-Blockade mit einem Einreiseverbot für amerikanische Guantanamo-Verantwortliche und dem Adoptionsverbot russischer Kinder durch amerikanische Familien.
Dass das traurige Schicksal Sergej Magnitskis die Weltpolitik beschäftigt, ist auf das hartnäckige Engagement des US-Investors Bill Browder zurück zu führen. Mit seiner in Russland tätigen Firma Hermitage Capital Management war Browder in das Schussfeld des Kreml geraten. Mit seinem Interesse an Russland folgt der aufgeweckte Geschäftsmann einer pikanten familiären Tradition. Browders Großvater war lange Zeit das bekannteste Gesicht des amerikanischen Kommunismus. Bis 1945 leitete Earl Browder als Generalsekretär die Kommunistische Partei der USA. Jahrzehnte lang war er eine führende Persönlichkeit der amerikanischen Linken. Enkel Bill Browder nützte das familiäre Know How im Umgang mit Moskau und stieg mit westlichem Kapital in den postsowjetischen Privatisierungsboom ein.
Als Vladimir Putin gegen unbotmäßige Finanzoligarchen zu Felde zog, verlor seine Firma Hermitage Capital den Segen des Kremlherren. Es war die Zeit, in der Putin den aufmüpfigen Multimilliardär Wladimir Chodorkowski verhaften ließ. Während sich andere Investoren der staatlichen Gewalt beugten, setzte sich Browders US-Unternehmen zur Wehr. Bill Browders russischer Anwalt Sergej Magnitski deckte Korruptionsfälle in höchsten Moskauer Regierungskreisen über 230 Millionen Dollar auf und bezahlte mit seinem Leben. Seither sucht der Multimillionär aus der prominenten amerikanischen KP-Familie durch weltweites Lobbying eine Bestrafung der Verantwortlichen zu erzwingen.
Der jüngste Freispruch des stellvertretenden Gefängnisdirektors, der bisher als einziger im Zusammenhang mit dem Tod Magnitskis vor Gericht stand, bestätigt die westlichen Kritiker an der gelenkten russischen Justiz. In Großbritannien, den Niederlanden und Schweden verlangen Abgeordnete ein Visumverbot für russische Peiniger Magnitzkis. Die einflussreiche Financial Times fordert ein Einreiseverbot im Schengenraum, ähnlich wie für Vertreter des diktatorischen Regimes in Belarus.
Der Fall Magnitski war kein symbolträchtiger Wendepunkt, wie die Ermordung der mutigen Aufdeckungsjournalistin Anna Politkowskaja. Selbst die Feministinnen der Punkband Pussy Riots können in Russland auf mehr Sympathien zählen, als der Anwalt eines ausländischen Millionärs.
Trotzdem ist die Forderung nach posthumer Gerechtigkeit für Sergej Magnitski legitim. Der 37jährige war unter folterähnlichen Bedingungen inhaftiert. Ärztliche Hilfe wurde ihm trotz einer schweren Entzündung verweigert. Wahrscheinlich wurde er zu Tode geprügelt. Offiziell starb Sergej Magnitski an Herzversagen. Drahtzieher hinter dem Martyrium des Mannes waren jene Kreise des Moskauer Innenministeriums, gegen die sich seine Korruptionsvorwürfe gerichtet haben. Es geht um Unabhängigkeit und Fairness der Justiz in einem autoritären System mit Mafia ähnlichen Strukturen.
Die amerikanische Schwarze Liste der Magnitski-Peiniger ist trotzdem der falsche Weg. Es handelt sich um eine einseitige Maßnahme, bar jeder völkerrechtlichen Basis. Die Europäer sollten diesen Weg nicht gehen. Ganz so wie im Kalten Krieg stärkt jeder martialische Schritt des Westens nur den autoritären Chauvinismus in Moskau. Das absurdeste Beispiel: die Einstimmigkeit, mit der die Duma russische Waisenkinder durch das neue US-Adoptionsverbot bestraft, nur um gegenüber Amerika zu punkten.
Der Meinungsstreit um Rechtsstaatlichkeit in Russland muss geführt werden. Auch auf internationaler Ebene. Dass sich europäische Abgeordnete oder amerikanische Senatoren zum Fall Magnitski zu Wort melden, ist richtig. Ein zwischenstaatlicher Konfrontationskurs mit der ehemals verfeindeten Supermacht stärkt dagegen nur die Hardliner in Moskau. Abschottung nach außen bringt Verhärtung nach innen. Je mehr Fäden Russland zum westlichen Ausland verbinden, desto besser. Diese Erfahrungen der Tauwetterphasen des Kalten Krieges gelten auch für die Ära Putin.