Die Tragödie der muslimischen Rohingya, 20.9.2017

 Aung San Suu Kyi wird von den meisten Burmesen wie eine Gottheit verehrt. Durch ihre Unbeugsamkeit gegen die totalitär regierenden Militärs wurde sie zur internationalen Symbolfigur. Ihr wochenlanges Schweigen zu den Massakern an der islamischen Minderheit der Rohingyas gefährdet den Weg Myanmars, wie Burma offiziell genannt wird,  zur Demokratie und schafft explosive  Spannungen zu den Nachbarn. Zurecht fordert der Westen die  Friedensnobelpreisträgerin dazu auf, sich auf ihr Menschenrechtsengagement zu besinnen.
Als die Militärs 2015 den Weg für den triumphalen Wahlsieg der oppositionellen Nationalen Liga für Demokratie freimachten, ging ein Rück der Hoffnung durch Südostasien. Der autoritäre Trend schien gebrochen, der in Thailand und anderen Staaten demokratische Freiheiten zerstörte. Dass Aung San Suu Kyi als nunmehr  führende Politikerin Myanmars sich dem Zerstörungsfeldzug der Militärs und buddhistischer Extremisten gegen die  Rohingyas  nicht entgegenstellt, ist eine Tragödie für die islamische Volksgruppe und eine Gefahr für die Zukunft des Landes.
Myanmar ist ein Vielvölkerstaat, mit 130 Nationalitäten. In der Grenzregion zu China kontrollieren rivalisierende Milizen ganze Regionen. Die Militärs führen ihre internen Kriege mit der Begründung, dass der Staat sonst im Chaos untergeht. Die unter Aung San Suu Kyi regierende Nationale Liga für Demokratie hat Vertreter separatistischer Gruppen zu Versöhnungsgesprächen geladen. Die Rohingya waren nicht dabei. Selbst der Name des unglücklichen Volkes ist in  Burma tabu.
Wer in Zeitungsredaktionen der Wirtschaftsmetropole Yangon oder im Parlament der Hauptstadt Naypyidaw fragt, wie die neuen Machthaber mit der unterdrücktesten Minderheit der Welt umgehen wollen, wird belehrt, dass es eine Volksgruppe dieser Bezeichnung gar nicht gibt. In der Grenzregion zu Bangladesch gäbe es lediglich Zusammenstöße mit Terroristen und illegalen Einwanderern. Die  Bengalis müssten einfach zurück in ihre Heimat.
Kein Land Südostasiens ist so stark vom Buddhismus geprägt, wie Myanmar.  Mönche und Nonnen in ihren safrangelben Kleidern prägen das Straßenbild. Die Mönche der goldenen Shwedagon Pagode in Yangon waren die Speerspitze im Kampf gegen die Militärs.  Aber ein  chauvinistischer Geistlicher namens U Wirathu verbreitet Hassparolen gegen Moslems. Die buddhistischen Extremisten fantasieren von einer drohenden Islamisierung Myanmars. Sie bekommen Unterstützung von ähnlichen Strömungen in Thailand. Beim Nachbarn Bangladesch, in Malaysia und  Indonesien ist der islamische Fundamentalismus tatsächlich im Vormarsch. Aber in Myanmar sind es radikale Buddhisten, die religiöse Freiheiten gefährden. Aung San Suu Kyi hat aus Rücksicht auf die eigene buddhistische Basis und die labile Koexistenz mit dem Militär zu den antiislamischen Massakern geschwiegen.
Die meisten Rohingyas leben im nordwestlichen Bundesstaat Rakhaing, drei Flugstunden von der Wirtschaftsmetropole Yangon entfernt. Als ausländischer Reporter braucht man für die Reise eine Sondergenehmigung. In der Provinzhauptstadt Sittwe sind die Rohingya-Bezirke von militärischen Checkpoints umgeben. Angeblich verhindert das Militär Überfälle buddhistischer Extremisten.    Am Stadtrand stoßen wir auf  freie Felder mit Überresten einer Besiedlung. Hier haben einmal Rohingya gewohnt, sagt der Taxifahrer. Zehntausende Vertriebenen leben in Flüchtlingslagern, die von dichtem Stacheldrahtverhau umgebenen sind. Sie sind staatenlos im eigenen Land. Seit den 1980er-Jahren stellen die Behörden keine Identitätsausweise mehr für moslemische Familien aus, selbst  wenn Großeltern und Urgroßeltern Felder und Wohnhäuser besessen haben.
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sagt, die Gewalttaten stellen ein  Beispiel ethnischer Säuberungen dar. Hunderttausende Rohingyas sind vor der massakrierenden Soldateska nach Bangladesch geflohen. Im Bundesstaat Rakhaing leben eine Million Moslems. Ihre Identität als Rohingyas haben die  burmesischen Moslems erst in den Kämpfen der Volksgruppen in den letzten Jahrzehnte erhalten, als Aufständische noch hofften einen unabhängigen moslemischen Staat zu erkämpfen.
Die jüngste Welle der Gewalt begann mit koordinierten Überfällen einer Arakhan Rohingya Salvation Army  gegen Polizeistationen und Militärposten. Angesichts der Übermacht des Militärs und der buddhistischen Extremisten hatten die Kämpfer  keine Chance.
Wenn Aung San Suu Kyi die Vertreibungen nicht rückgängig macht, wird sich die ethnische Zusammensetzung des Landes dauerhaft verändern. Myanmar wird sich die Todfeindschaft der islamischen Staaten Südostasiens zuziehen. Die Gewaltbereitschaft zwischen den Volksgruppen wird zunehmen. Viel Zeit für einen  Ausweg gibt es nicht.

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