Der Schritt zu viel: Saudi-Arabiens Staatsverbrechen, 24.10.2018

Die saudische Führung hat drei Wochen geleugnet. Nach massivem Druck aus den USA präsentiert Riad schließlich eine mühsam zusammengestückelte Lügenstory über den grausamen Mord an Jamal Khashoggi in Istanbul. Die Welt soll die unglaubwürdige Version akzeptieren. Der dissidente Journalist wäre umgekommen sein, weil ein Streit im saudischen Konsulat unbeabsichtigt eskaliert ist. Das eingeflogene Killerkommando, die Knochensäge, der Obduktionsspezialist, die nach türkischen Angaben zur Operation gehörten, das alles sollen Zufälle gewesen sein.
Ob das saudische Märchen ausreicht dem mächtigen Thronfolger Mohammed bin Salman, der die Aktion in Auftrag gegeben hat, das politische Überleben zu sichern, erscheint fraglich. Für die eigenen Bürger ist es ein Schock, dass das Regime seine schamlosen Lügen zugeben muss. Tagelang hatten die Propagandisten behauptet, der Ermordete habe als freier Mann das Konsulat verlassen. Jetzt wird spekuliert, Khashoggi hätte entführt werden sollen, er hat sich aber gewehrt.
Die Geschichte ist abstrus. Trotzdem ist die Führung in Riad überzeugt, dass den USA, den Europäern, der Türkei und den arabischen Staaten nichts anders übrig bleiben wird, als sie zu akzeptieren. Saudi Arabien glaubt als Ölproduzent und Alliierter der USA gegen den Iran so wichtig zu sein, das niemand es wagen wird auszusprechen, was alle denken: das Königreich agiert schlicht als krimineller Staat, wie das französische Onlinemagazin Mediapart trocken urteilt.
Die Überzeugung der Saudis, dass sie sich auf dem internationalen Parkett alles erlauben können, erklärt die Ungereimtheiten des Komplotts gegen Khashoggi. Wieso hinterließen 15 Spitzenleute des Sicherheitsapparats aus der engsten Umgebung des Thronfolgers bei einem Auslandseinsatz eine so leicht erkennbare Spur? Warum dachten die Geheimdienstprofis nicht daran, dass ihr Konsulat in Istanbul abgehört wird? Die Antwort: Thronfolger Mohammed al Salam hält Saudi Arabien für so unangreifbar, dass sich seine Agenten Vorsichtsmaßnahmen ersparen können.
Hinter der grausigen Kommandoaktion steckt die Geisteshaltung eines absoluten Herrschers, die der junge starke Mann des Königreiches von Anfang an erkennen ließ. Auf Betreiben Salmans führt Saudi Arabien seit drei Jahren im Jemen einen Krieg gegen mit dem Iran verbündete schiitische Huthi-Rebellen, in dem Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung die Regel sind. Anfang August bombardierten saudische Kampfflugzeuge einen vollbesetzten Schulbus mit 50 Kindern. Proteste internationaler Menschenrechtsorganisationen blieben ungehört.
Vor einem Jahr ließ Thronfolger Salman den Premierminister des Libanon nach Saudi Arabien entführen, weil ihm der weiche Kurs der Regierung in Beirut gegen die proiranische Hisbollahmiliz missfiel. Frankreichs Präsident Macron musste persönlich intervenieren, um Saad Hariri die Wiederaufnahme seiner Amtsgeschäfte in Beirut zu ermöglichen.
Dass die Saudis einen fremden Regierungschef kidnappen, hat verwundert. Konsequenzen gab es keine. Die Ermordung Jamal Khashoggis könnte der Schritt zu viel gewesen sein, der auch bei den engsten Verbündeten in Washington DC Alarmglocken auslöst. Das realitätsferne Selbstbewusstsein eines absoluten Herrschers, zu dem der saudische Thronfolger geworden ist, stellt sich als Risiko für seine Verbündeten heraus.
Noch hält Donald Trump der saudischen Führungsclique die Stange. Seine Administration hat alle Karten auf Mohammed bin Salman gesetzt, weil sich der junge Führer als Hardliner gegen den Iran positionierte. Demnächst wollen die USA ihre Sanktionen gegen den Iran auf Ölgeschäfte ausweiten. Die Saudis sollen mehr Öl fördern als bisher, damit der Ölpreis nicht übermäßig steigt. Aber die Achse bröckelt. Bei einer internationalen Investorenkonferenz, die pompös Davos in der Wüste heißt, wollte die saudische Führung diese Woche ihre Zukunftsvisionen präsentieren. Es hagelt Absagen.
Der ermordete Jamal Khashoggi war Saudi Arabiens bekanntester Journalist. Er gehörte früher zum Establishment, musste sich als Gegner des Thronfolgers jedoch in die USA absetzen. Als Kolumnist der Washington Post bekam er ein mächtiges Sprachrohr. Mit zahlreichen Politikern und Experten war er persönlich bekannt. In seinen Artikeln wandte er sich gegen das Comeback der Diktaturen nach dem Scheitern des arabischen Frühlings.
Wenn sich eine autoritäre Macht neu organisiert, sind Journalisten oft die ersten Ziele. Vor zehn Jahren starb in Moskau Anna Politkowskaja. Unermüdlich hatte sie über Menschenrechtsverletzungen und Korruption im Tschetschenienkrieg geschrieben. Die Killer warteten in ihrem Wohnhaus. Wer die Hintermänner waren, ist bis heute ungeklärt. Im Fall von Jamal Khashoggi führt die Spur direkt ins Herz der saudischen Staatsmacht.

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