Der Antiterrorkampf muss überprüft werden

Die historische Stadt Timbuktu war vor drei Jahren dabei zu einer Art Rakka Westafrikas zu werden, einer afrikanischen Variante der dschihadistischen Hochburg in Syrien. Bewaffnete Tuareg, die von einem Staat der Nomadenvölker träumen, hatten die Zentralregierung aus dem Norden von Mali vertrieben. Waffen und Bündnispartner kamen aus Libyen. Doch die stolzen Tuareg waren rasch an den Rand gedrängt. Eine Islamistische Rebellengruppe aus der Westsahara übernahm die Macht. Es begann die Zerstörung Jahrhunderte alter Mausoleen und Bibliotheken. Vom Rande der Sahara sollte der Dschihad nach Marokko, Algerien und Tunesien getragen werden.
Die Vision von der Destabilisierung Westafrikas nach dem Vorbild Syriens steht auch hinter der blutigen Geiselnahme in der Hauptstadt Bamako letzte Woche. Sie ist nicht aus der Luft gegriffen. Das benachbarte Marokko ist wiederholt von Terroranschlägen erschüttert worden. Auch in Algerien sind islamistische Untergrundorganisationen trotz jahrelanger Repression durch das Militär aktiv. Als die Wüstenkrieger 2013 von Timbuktu aus gegen Süden vorstießen, um die Hauptstadt Bamako zu erobern, bereitete die französische Armee dem Spuk ein Ende. Die Region konnte aufatmen. Die Angst vor Flüchtlingsströmen aus Westafrika nach Spanien und Frankreich war gebannt.
In Mali läuft seither ein mühsamer interner Versöhnungsprozess. Afrikanische UNO-Truppen ersetzen Schritt für Schritt die französischen Soldaten. Eine EU-Militärmission soll helfen, die Streitkräfte neu aufzubauen. Der blutige Sturm auf das von Ausländern frequentierte Radisson Hotel in Bamako nur wenige Tage nach den Angriffen von Paris zeigt, wie labil die Situation ist.
Ein direkter Zusammenhang des Massakers in Bamako mit dem Pariser Terror ist nicht bestätigt. Der Überfall in Mali passierte jedoch in einer politischen Extremsituation. Von den Propagandisten des Islamischen Staates werden die Anschläge von Paris im Internet gefeiert. Videos, die zur Nachahmung aufrufen, verzeichnen hunderttausende Zugriffe. Der IS-Führungsstab unter Abu Bakr al-Bagdadi und seiner Clique ehemaliger irakischer Geheimdienstleute verfügt über ein Territorium und große Mittel. Das sogenannte Kalifat um die syrische Stadt Rakka widersteht amerikanischen Bomben und behauptet, Kommandoaktionen im Herzen Europas zu befehligen. IS strahlt weit über den unmittelbaren Einflussbereich im Nahen Osten hinaus.
In den Tagen nach dem Angriff gegen Paris standen sicherheitspolitische Verschärfungen im Zentrum. In den USA erwiesen sich viele der nach 9/11 eingeführten Überwachungsschritte als Leerlauf. Die US-Sondergesetze waren jedoch zeitlich beschränkt. Die Obama-Administration ließ zahlreiche Paragrafen auslaufen. Um zu verhindern, dass Maßnahmen, die in einer Ausnahmesituation gerechtfertigt erscheinen, zum Dauerzustand werden, sollten sich auch die Europäer Fristen überlegen.
Eine Untersuchungskommission des US-Kongresses analysierte das Versagen der Nachrichtendienste. Die Ergebnisse waren die Basis für eine grundlegende Geheimdienstreform. Eine Untersuchung der Schwächen der Antiterrorpolitik ist nach den vielen hundert Toten der letzten Jahre auch in Europa überfällig.
Francois Hollande wirbt diese Woche bei Barack Obama und Vladimir Putin für eine internationale Antiterrorallianz. Die Initiative erinnert an die amerikanische Diplomatie nach dem 11.September, die zur Aktivierung der NATO-Beistandsklausel und zu russischer Unterstützung beim Sturz der Taliban in Afghanistan führte.
Eine internationale Reaktion auf die Anschlagserie ist heute noch wichtiger als 2001. Gleichzeitig ist der syrische Bürgerkrieg um vieles komplizierter, als Afghanistan vor 15 Jahren. Der Rückzug Amerikas als bestimmende Führungsmacht hat ein Vakuum geschaffen, das rasche Entscheidungen erschwert.
Frankreich ergreift die Initiative, die von den USA gelassene Lücke zu füllen. Aber die Europäische Union muss nachziehen, wenn es zu einer glaubwürdigen außenpolitischen Antwort kommen soll. Gegen die IS-Hochburg Rakka werden irgendwann Bodentruppen nötig sein, wie damals in Mali, als Frankreich den Marsch auf Bamako blockierte. Die Welle des islamistischen Terrors zu stoppen, wird um vieles länger dauern. Ein Schub vorwärts in der Europäischen Sicherheitspolitik wäre die logische Konsequenz aus einer Gefahrensituation, die alle EU-Staaten betrifft.