Chinas gelenkte Öffentlichkeit, Falter-Beilage, 28.6.2017

Die größte Mediengesellschaft der Welt pendelt zwischen Modernisierung und Konterrevolution, zwischen privaten Medienanbietern und staatlicher Regulierung Für Chinas Medien hat es in den letzten Jahrzehnten sowohl Phasen der Liberalisierung als auch Zeiten verschärfter staatlicher Kontrolle gegeben. Mehr Menschen als irgendwo sonst in der Welt benützen hier Smartphones. Hunderte Millionen verfügen über Zugang zum Internet, das im Reich der Mitte aber streng zensuriert ist. Die Pendelbewegung seit dem Beginn des marktwirtschaftlichen Aufbruchs vor 35 Jahren hat eine gelenkte Öffentlichkeit entstehen lassen, in der vom Staat unabhängige Meinungsbildung selten ist. Vor der Kulturrevolution gab es in ganz China ein knappes Dutzend Fernsehsender, 42 Zeitungen und circa 100 Radiostationen, die ausnahmslos alle von der Kommunistischen Partei betrieben wurden. Das Riesenland war eine mediale Wüste. Die Reformpolitik Deng Xiaopings, die nach der Entmachtung der maoistischen Hardliner den Aufstieg Chinas einleitete, führte zu einer medialen Explosion gigantischen Ausmaßes. Innerhalb weniger Jahre entstanden tausende Zeitungen, Radiosender und TV-Anstalten. So wie in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow setzte eine Diskussion über Sozialismus und Demokratie ein. Dann kam 1989 die Niederschlagung der Demokratiebewegung am Tienanmenplatz. Das Pendel schlug in Richtung Diktatur aus. Durchbrochen wurde die realsozialistische Normalisierung um die Jahrtausendwende durch das Internet. Auf Weibo, dem chinesischen Twitter, schrieben Blogger mit Millionen Followern über Misswirtschaft, Smog und staatliche Willkür. Das freche Wirtschaftsmagazin Caijing zog nach. In Guangzhou nützte die mutige Wochenzeitung Southern Weekly den neuen Spielraum. Dank der sozialen Medien war zu Beginn des Jahrhunderts eine chinesische Öffentlichkeit im Entstehen. Seit 2013 läuft neuerlich eine mediale Konterrevolution. Unter Parteichef Xi Jinping erobert die Zentralmacht die Kontrolle über die veröffentlichte Meinung zurück. Ein Apparat von geschätzten zwei Millionen Aufpassern und Claqueuren zensuriert, reguliert und lenkt die Onlinemedien für 600 Millionen Internetbenützer. Von der kritischen Presse ist nur wenig übrig. Nichtstaatliche Medienbetreiber sind erlaubt. Aus Hongkong strahlt der private TV-Sender Phoenix Television in die Haushalte auf dem Festland. Aber inhaltlich sind die Medien streng reguliert. Bei sensiblen Themen wie den Spannungen in Tibet, der Radikalisierung der uigurischen Minderheit oder den Unabhängigkeitsbestrebungen in Hongkong ist nur die jeweilige offizielle Sprachregelung zugelassen. GreatFire.org, eine amerikanische Organisation gegen Zensur in China, zählt 24.000 Begriffe auf, die in den letzten Jahren blockiert waren. Aber die Kontrollmechanismen werden subtiler. Bei der Suche nach einem Tabuwort in der chinesischen Suchmaschine Baidu erhielt man früher häufig die Botschaft, dass die entsprechende Information aufgrund geltender Vorschriften gesperrt ist. Inzwischen ergibt die Suche nach dem Dalai Lama oder dem Massaker am Tienanmenplatz 1989 durchaus Resultate, aber eben nur solche, die der offiziellen Diktion entsprechen. Der Dalai Lama ist im chinesischen Internet ein Zerstörer des Buddhismus und staatsgefährlicher Separatist. Die Demokratiebewegung von 1989 gilt als konterrevolutionäre Revolte. Das Resultat dieser Wellenbewegung ist eine Medienwelt, die die Widersprüche des chinesischen Gesellschaftssystems widerspiegelt. Die Kommunistische Partei herrscht mithilfe aller Mittel autoritärer Staatskunst über eine Gesellschaft, die vielfältig und bunt ist und die sich in rasendem Tempo verändert. Aber das Einparteiensystem und die dazugehörige Presselandschaft machen es unmöglich, dass diese Wirklichkeit mit all ihren Gegensätzen die Öffentlichkeit erreicht. Das Parteiorgan Renmin Ribao, die legendäre Volkszeitung, ist mit dem Charme des Neuen Deutschland unter Erich Honecker zu vergleichen. Die zentralen Fernsehnachrichten im Staatssender CCTV bestehen aus Verlautbarungen über die Tätigkeit des Staatspräsidenten, des Premierministers oder anderer Mitglieder des Politbüros. Kaum ein Durchschnittsbürger hört zu. Trotzdem hängen hunderte Millionen Menschen in den U-Bahnen und auf den Busbahnhöfen gebannt an ihren Smartphones, auf deren Bildschirme Chinas Internetgiganten Tencent und Sina rund um die Uhr Messages und Bilder spülen. Klatschgeschichten und Chronikales dominieren die bunte Handywelt. Hard News kommen von der offiziellen Nachrichtenagentur Xinhua. Staatspräsident Xi Jinping führt jeden Tag die Meldungsübersicht an. Wählen wir nach dem Zufallsprinzip die chinesischen Handynachrichten vom 7. Juni 2017 aus. Auf Sina News ist die Story über den korrupten Vizebürgermeister Cao Jian Liao von Guangzhou, dem ehemaligen Kanton, der am häufigsten geklickte Beitrag. Der Mann machte sich verdächtig, als er hartnäckig jede Beförderung verweigerte, um seinen lukrativen Posten bei der Lizenzvergabe an Immobilienhaie nicht aufzugeben. 80 Millionen Yuan Bestechungsgelder hat er kassiert, fand das Gericht, das den hohen Funktionär zu lebenslanger Haft verurteilte. Der 8:1-Sieg der chinesischen Fußballmannschaft über die Philippinen am Vortag ist ebenfalls ganz groß. Internationale Erfolge der Nationalmannschaft sind selten. Die meisten Kommentare im Onlineforum löst das Video einer Schlägerei zwischen Straßentänzerinnen und Basketballspielern im Städtchen Luoyang in der Provinz Henan aus. Ältere Paare, die zu lauter Musik auf öffentlichen Plätzen tanzen, sind für viele Chinesen nervtötend. Dass die Basketballspieler von Luoyang die tanzenden Seniorinnen einfach vom Sportplatz gejagt haben, löste im Internet bissige Kommentare aus. Obwohl in den sozialen Medien Chinas viel kontrolliert und gelenkt wird, kommt nicht alles von oben. Die User chatten, kommentieren und leiten weiter. Als in Peking im Mai 2016 der Ökologe Lei Yang von der Renmin-Universität bei einer Polizeikontrolle umkam, ließ sich der Skandal dank der engagierten Blogger nicht vertuschen. Es gab einen Aufschrei der Empörung und gegen die Polizisten musste eine Untersuchung eingeleitet werden. Größter Hit des Jahres im Cyberspace wurde der autobiografische Aufsatz der Wanderarbeiterin Fan Yusu, die ihren Lebensweg vom aufgeweckten Mädchen im Dorf bis zur Haushälterin in Peking beschreibt. Der Text wurde mehr als eine Million Mal geklickt. China zeigt, wie Kontrolle funktionieren kann, ohne dass die Medienwelt todlangweilig sein muss. Die vielen Tabus und der Focus auf Lenkung von oben hängen mit der revolutionären Entstehungsgeschichte der Volksrepublik zusammen. Wenn Mao Zedong, wie so oft, das Ruder herumreißen wollte, ließ er einen Artikel schreiben oder er griff selbst zur Feder. Die Macht kommt aus den Läufen der Gewehre und den Stiften der Schreiber, lautete seine Parole. Pendelbewegungen gehörten zum Herrschaftsmodell des Maoismus. In den 1950er-Jahren ließ Mao unter der Devise „Lasst hundert Blumen blühen, lasst hundert Schulen miteinander wetteifern“ eine Rede veröffentlichen. Es war der Start einer kurzen Phase der Liberalisierung. Die Kulturrevolution begann 1966 mit einem Kampfartikel Maos in einer Schanghaier Zeitung gegen die zum gemäßigten Lager gehörende Pekinger Parteiführung. Mit Wandzeitungen, Dazibaos, kämpften die linksradikalen Roten Garden gegen das Establishment. Presseorgane sind in der maoistischen Tradition ausschließlich Instrumente des politischen Machtkampfes. Häufig ist das in westlichen Demokratien nicht anders. Aber grundsätzlich sehen sich Medien als Instrumente der Kontrolle. In den USA ist idealtypisch von der Presse als vierter Macht neben Legislative, Exekutive und Justiz die Rede. Die Washington Post konnte den Watergate-Skandal aufdecken, der zum Sturz Richard Nixons führte. Die New York Times, im Eigentum der Familie Sulzberger, schreibt jeden Tag gegen die Lügen und Verdrehungen des amtierenden Präsidenten Donald Trump. Aus chinesischer Sicht sind das Vorgänge, die so fremd sind, als kämen sie von einem anderen Planeten. Anfang 2017 besuchte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping das KP-Parteiorgan Volkszeitung, das Staatsfernsehen CCTV (China Central Television) und die Nachrichtenagentur Xinhua. Die drei Medien sind die Säulen der staatlichen Propaganda. Sie verfügen über tausende Mitarbeiter und umfangreiche Mittel. Der zu CCTV gehörende Auslandssender China Global TV Network CGTN sendet in Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch und Arabisch. „Sie müssen die Partei lieben, die Partei schützen und sich in Gedanken, politischen Entscheidungen und Taten mit der Parteiführung verbinden“, ließ Xi Jinping die Reporter bei seinem Besuch in den Redaktionen wissen. Journalisten sind aus Sicht der Führung Propagandisten und Agitatoren. Sie haben sich als Arm der chinesischen Staatspartei zu verstehen. Seit seinem Amtsantritt vor fünf Jahren hat Xi Jinping den Kampf gegen die Korruption zum Schwerpunkt seiner Amtsführung gemacht. Die Medien ziehen nach und berichten ausführlich, wenn ein hochgestellter „Tiger“ gestürzt wird. Voraussetzung ist dabei stets, dass auch die Antikorruptionsbehörde selbst über einen Fall ermittelt. Rücksicht auf Rechte der Beschuldigten oder gar eine Unschuldsvermutung gibt es nicht. Anfang 2017 zeigt das Staatsfernsehen CCTV eine Reality-TV-Serie über Misswirtschaft und Korruption, die wochenlang das Land bewegte. Gezeigt wurden Berge teuren Schmucks, viel Cash und tapfere Ermittler. Bei seinem Schuldbekenntnis brach der ehemalige stellvertretende Parteisekretär der Provinz Sichuan, Li Chuncheng, vor laufender Kamera in Tränen aus. Für die Funktionäre dienen diese Sendungen als Warnung, was passieren kann, wenn man sich dem Kurs der Führung widersetzt. In der Bevölkerung ist die Antikorruptionskampagne höchst populär. Eigenständige mediale Recherchen sind im Zusammenhang mit Korruption keine erwünscht. Als die New York Times 2012 über das Milliardenvermögen im Familienkreis der obersten Führung berichtete, mussten die Reporter das Land verlassen. Die New York Times ist in China blockiert. Selbstbezichtigungen von Personen, die der Korruption oder anderer Verbrechen beschuldigt werden, haben eine unrühmliche Tradition in der Volksrepublik China. In der Kulturrevolution waren Rechtsabweichler gezwungen, sich in Massenversammlungen zu erniedrigen und ihre Schuld zu beteuern. Nur das Fernsehen war damals noch nicht dabei, sagt der unabhängige Historiker Zhang Lifan in Peking. Die beschämenden Szenen auf den Bildschirmen zeigen, wie eng im modernen China der Zusammenhang zwischen Öffentlichkeit und politischer Herrschaft geblieben ist. Im Hochhaus der renommierten Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften in Peking arbeitet der Politikwissenschaftler Chen Enfu. Er ist Herausgeber der Marxist Studies of China, dem theoretischen Organ für den Sozialismus mit chinesischer Prägung, und gehört zu den Chefideologen der Kommunistischen Partei. Chen Enfu scherzt, seine Abteilung beherberge die einzigen echten Marxisten Chinas. Das Fensterbrett zieren kleine Statuen von Mao und Marx, neben dem Schreibtisch stapeln sich unverkaufte Hefte der Marxismusstudien. Wir sprechen auch über die Mediensituation. Ob ein Artikel veröffentlicht wird, entscheidet bei uns die Regierung im Interesse der Massen, sagt Chen Enfu, bei euch im Westen ist es der Chefredakteur, der die Interessen der kapitalistischen Eigentümer vertritt. An unabhängige Medien glaubt Chinas Chefideologe nicht. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit werde immer nur kapitalistische Ideologie verbreitet, sagt er. Weil kommerzielle Onlinedienste mit Mode, Stars und Chronik ihre Geschäfte machen, sei es umso wichtiger, dass staatliche Medien auf Massenlinie gehalten werden. Tatsächlich ist in China eine neue Art von kommerziell höchst einträglichem Boulevardjournalismus im Netz entstanden, die die Massen leichter erreicht als die staatliche Propaganda. Auf der Shen-Ye-Fa-Chi-Seite auf Wechat, die vor Jahren von einer Klaschreporterin gestartet wurde, kostet ein Werbeartikel 100.000 Yuan, etwa 15.000 Euro. Die Seite hat eine Million Follower. Der Onlinedienst Wechat, auf dem man wie bei Facebook in Gruppenchats Postings austauscht, hat inzwischen ungleich mehr Anwendungsbereiche als vergleichbare Medien im Westen. Das Programm ermöglicht es nicht nur, Postings, Bilder oder Voicemessages verschicken. Mit Wechat am Handy kann man auch seinen Einkauf bezahlen, ein Taxi finden und ein Fahrrad mieten. Politisch aufmüpfig sind solche Medien nicht. Trotzdem versucht die Regierung, dem Boom an einträglichen Klatschseiten entgegenzutreten. Seit dem 1. Juni 2017 ist ein neues Gesetz über Sicherheit im Netz in Kraft. Die vielen grelle Storys über das Sexleben von Stars und den Luxus der Reichen und Berühmten sind geschmacklos und müssen zurückgefahren werden, ließ die Internet-Aufsichtsbehörde verkünden. Im Netz müssen von nun an sozialistische Werte propagiert werden. 60 populäre Paparazzi-Seiten mit Millionen Followern wurden gesperrt. Im Herbst 2017 steht ein wichtiger Parteitag der Kommunistischen Partei an. Manche Beobachter vermuten, dass der moralisierende Kurs der Obrigkeit danach rasch nachlassen wird. Dass in China auch unabhängige Qualitätsmedien gefragt sind, beweisen Taiwan und Hongkong. Die ehemalige britische Kronkolonie gehört zwar zur Volksrepublik China, dank eines Sonderstatus gibt es jedoch eine unabhängige Justiz und Zeitungen ohne Zensur. Die sicherste Informationsquelle für China-Interessierte ist weltweit die in Hongkong erscheinende South China Morning Post. Die englischsprachige Tageszeitung ist vor kurzem von dem Milliardär Jack Ma gekauft worden, der mit seiner Zustellfirma Alibaba das halbe Land beliefert. Jack Ma ist zwar sein eigener Herr, für seine Geschäfte braucht er aber das Wohlwollen der Partei. Die Sorge war groß, dass Chinas beste Tageszeitung mit dem Eigentümerwechsel ihre journalistische Selbstständigkeit verlieren wird. Bislang haben sich diese Ängste nicht bestätigt. Auf dem Festland wird die englischsprachige South China Morning Post im Internet blockiert, genauso wie Medien aus Taiwan. Das Auf und Ab der chinesischen Zensur beschäftigt internationale Medienforscher. Am Institut für Journalismus und Medienstudien der Universität Hongkong verfolgt Professor Fu King Wa mithilfe eines eigenen Computerprogramms die Eingriffe der Zensurbehörden in den sozialen Medien. Das sogenannte Weiboscope beobachtet 100.000 Blogger auf dem Festland und speichert die Postings, bevor sie gelöscht werden. Die umfangreichsten Eingriffe der Behörden registrierte das Weiboscope während der Demokratiebewegung in Hongkong 2014. Peking war in Sorge, dass der Funke auf das Festland überspringen könnte. Die Firewall, die China vom weltweiten Internet abschottet, war erfolgreich: Die Forderungen der Studenten nach einer demokratischen Wahl des Regierungschefs gingen an der chinesischen Öffentlichkeit vorbei. Chinas Regulierungsbehörde für das Internet hat mithilfe großer technischer Mittel geschafft, wovon viele autoritäre Regierungen träumen: Sie hält globale Onlinemedien, die sich den nationalen Vorschriften nicht beugen wollen, vom eigenen Markt fern. Google, Facebook, Twitter und viele andere Sites sind blockiert. Ökonomisch hat der digitale Protektionismus den Raum für die chinesischen Pendants geschaffen. Politisch hält sich der Staat auf diese Weise Kritik von außen vom Leib. Chinesische Medien, die in Hongkong, in Taiwan oder in den USA erscheinen, können in China nur mithilfe teurer Virtual Private Networks, sogenannter VPNs, erreicht werden, die die Firewall umgehen. Den meisten Bürgern sind VPNs zu teuer und zu mühsam. Für ausländische Reporter in China gelten die Zensurregeln der chinesischen Kollegen nicht. Die Firewall macht die Arbeit im Internet trotzdem zur Geduldsprobe. Wenn in der BBC der Dalai Lama vorkommt, wird der TV-Bildschirm schwarz. Und irgendjemand macht sich die Mühe, aus dem britischen Economist, der jede Woche ins ORF-Büro geliefert wird, mit einer Rasierklinge feinsäuberlich alle kritischen Artikel über Staatspräsident Xi Jinping herauszuschneiden. Mit dem Argument, dass auch im Internet Regeln und Verbote der Nationalstaaten gelten sollen, steht China nicht allein da. Aufmerksam hat man in Peking registriert, dass die britische Regierungschefin nach den Terroranschlägen in Liverpool und London eine stärkere Regulierung des Internets als dringende Antiterrormaßnahme fordert. Statt sich über Verletzung der Menschenrechte und der freien Meinungsäußerung in China zu beschweren, sollte der Westen einsehen, dass die chinesische Internetkontrolle sehr effizient ist, kommentiert die nationalistische Tageszeitung Digital Times in Peking die Diskussion in Großbritannien. Für chinesische Redaktionen ist es normal, dass die zuständigen Propagandaabteilungen jeden Tag Vorgaben machen, welche Themen wie behandelt werden sollen und was man besser vermeidet. Medienforscher der Universität von Kalifornien haben diese Regieanweisungen zur Jahrestagung des chinesischen Volkskongresses 2016 veröffentlicht. Verboten waren negative Berichte über die Turbulenzen an Chinas Aktienmärkten, über den schlimmen Smog und über die große Zahl von Millionären unter den Volksdeputierten. Bei heiklen Themen wie der Korruption oder den Unabhängigkeitsbestrebungen in Taiwan wurden die Medien ermahnt, Berichte der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua zu übernehmen. Auch der Online-Nachrichtendienst China Digital Times, der von der Universität Berkley betreut wird, kommt immer wieder an die medialen Tagesbefehle in China heran. Man erfuhr 2016, dass die chinesische Medienpolitik den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf kleinspielen wollte, aus welchen Gründen auch immer. Beim Thema Nordkorea drängt die Behörde auf diplomatische Zurückhaltung. Medien, die zu heiklen Themen eigenständig recherchieren, riskieren Verwarnungen und Schwierigkeiten, die im schlimmsten Fall auch zur Einstellung führen können. Spektakulär war 2014 die Verhaftung der Journalistin und Regimekritikerin Gao Yu, die auch für die Deutsche Welle Beiträge gestaltet hat. Die heute 72-Jährige ist 2015 wegen Geheimnisverrats zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Ihr wurde vorgeworfen, einem Hongkonger Kollegen ein internes Parteidokument weitergegeben zu haben. Nach einem spektakulären TV-Geständnis der Regimekritikerin und der hohen Haftstrafe wurde die Journalistin schließlich wieder freigelassen. Die abschreckende Wirkung war erreicht. Unzufriedenheit über die engen Grenzen des Erlaubten wird in China heute verhaltener geäußert als früher. Das hängt nicht nur mit dem gewachsenen Druck von oben zusammen. Das Scheitern des Arabischen Frühlings hat die Idee der Freiheit beschädigt. Donald Trumps Kampagne gegen angebliche Fake News nährt Zweifel am Wert der freien Presse. In der chinesischen Geschichte gab es häufig Bürgerkriege, wenn ein starkes Zentrum gefehlt hat. Auf diese Logik stützt sich die Führung in Peking, wenn sie das Monopol der Kommunistischen Partei als Voraussetzung für Stabilität und Fortschritt verteidigt. Die atemberaubende Verbesserung der Lebensverhältnisse, die die Menschen in den letzten Jahren erlebt haben, erhöht die Legitimität der Staatspartei. Die Publizistin Louisa Lim, die untersucht, was von der Erinnerung an die Proteste des Tienanmenplatzes 1989 geblieben ist, glaubt, dass eine Mehrheit der chinesischen Elite die Niederschlagung der Demokratiebewegung inzwischen als Voraussetzung ansieht, dass es nicht zu einem Zerfall wie in der Sowjetunion gekommen ist. Die Vorstellung, dass der blutige Armeeeinsatz gegen die Demonstranten am Tienanmenplatz den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes ermöglicht hat, passt zum Narrativ der Regierung. In einem Bereich hat der Druck aus der wachsenden Mittelklasse den journalistischen Spielraum erweitert. Über Smog wird in den Medien um vieles offener diskutiert als früher. Ma Jun, einer der führenden Umweltaktivisten, nützt diese Möglichkeiten, um mit seiner NGO über Onlinemedien auf Luftverschmutzer einzuwirken. Das von ihm geleitete Institute of Public and Environmental Affairs IPE erstellt mit öffentlich zugänglichen Daten einen Index über das Umweltverhalten von Firmen. Eine App zeigt die Luftverschmutzung für jeden Ort in China an und gibt Informationen über den Schadstoffausstoß von 15.000 Unternehmen. Die Liste erzeugt öffentlichen Druck. 3000 Firmen haben nach Angaben des ehemaligen Journalisten Filter eingebaut oder andere umweltschützende Maßnahmen gesetzt. Kritischer Journalismus, der in politischen Fragen nicht möglich ist, findet sich in China am ehesten auf den Wirtschaftsseiten. Die Herausgeberin des Wirtschaftsblattes Caixin, Hu Shuli, hat den Ruf, die gefährlichste Frau Chinas zu sein. Seit drei Jahren hinterfragt das Magazin hartnäckig die riskante Geschäftsgebarung der größten chinesischen Versicherung Anbang. Die Versicherung droht mit Klagen, konnte die Kritik von Caixin aber bisher nicht verhindern. Caixin lässt sich nicht einschüchtern, lobt die liberale britische Wochenzeitung Economist. Es gibt sie also doch, die mutigen Medien in China, auch wenn sich an den Umkreis der politisch Mächtigen niemand heranwagt.

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