Boat People im Ärmelkanal, Falter Maily 29.11.2021

Vergangene Woche ist im Ärmelkanal vor Calais ein aufblasbares Flüchtlingsboot untergegangen. Mindestens 27 Migranten, zumeist irakische Kurden, sind ertrunken, darunter mehrere Frauen und drei Kinder. Tragödien von Boat People, die nach Europa wollen, sind im Mittelmeer düsterer Alltag. Jetzt wissen wir: Eine Seeroute verläuft auch von Frankreich nach Großbritannien. Jeden Tag versuchen Hunderte Migranten und Flüchtlinge die gefährliche Überfahrt zur englischen Küste.Der französische „Dschungel“ bei Calais, einem Slum, von dem aus Flüchtlinge versuchen, versteckt auf  Lkws den Kanaltunnel zu durchqueren, ist seit Langem bekannt. Stacheldraht, Zäune, Nachtsichtgeräte und Sensoren, mit denen Menschen entdeckt werden können, haben den Kanaltunnel für Migranten weitgehend gesperrt. Die Folge war, dass sich die Route zur illegalen Einreise auf das Meer verlegt hat. 27.000  Menschen sind seit Anfang des Jahres auf Gummibooten nach Großbritannien zu kommen. Für die britische Öffentlichkeit eine schockierend hohe Zahl.Frankreich lässt sich die Küstenwache vom britischen Steuerzahler kofinanzieren, will aber keine Polizisten aus dem Vereinigten Königreich ins Land lassen. Das britische Boulevardblatt Sun bringt Fotos von überfüllten Schlauchbooten, die unbehelligt von französischen Gendarmen in See stechen. Premierminister Boris Johnson beschuldigt Paris, die Küste zu wenig zu kontrollieren und will Flüchtlinge nach Frankreich zurückschicken. Die Polemik zwischen London und Paris klingt  ähnlich wie der Streit zwischen der EU und der Türkei, wenn die griechische Außengrenze überwunden wird. Der große Unterschied: Beim Ärmelkanal geht es nicht um eine Fluchtroute in die Europäische Union, sondern umgekehrt aus der EU in einen Drittstaat, eben Großbritannien.Im britischen Oberhaus hat der ehemalige schottische Richter John Kerr die Behauptungen der Regierung mit Zahlen und Fakten widerlegt. Flüchtlinge nehmen den gefährlichen Weg über das Meer, weil Großbritannien fast alle regulären Fluchtwege geschlossen hat, sagt Lord Kerr. Es ist wert, sich seine Wortmeldung anzuhören. Viele der Migranten wollen nach Großbritannien, weil sie dort Verwandte haben oder bessere Jobchancen sehen. Unter Migrationsexperten ist von „mixed flows“ die Rede, die sowohl Asylberechtigte als auch Zuwanderer umfasst, ähnlich wie zwischen Mexiko und den USA.Die Flüchtlingstragödie vor Calais führt zur Frage, ob ein Staat, der keine Migranten mehr akzeptieren will,  eigentlich demokratiepolitisch im Recht ist, Einwanderung zu blockieren, auch wenn damit eine Verletzung der Menschenrechte verbunden ist? Können Staaten ausschließlich nach der Stimmung ihrer eigenen Bürger vorgehen? Der Migrationsexperte Rainer Bauböck sagt „Nein“. Er hat eine eigene Studie unter dem Titel „The Democratic Case for Immigration“ verfasst. Liberale Demokratien sind gegenüber Geflüchteten den Menschenrechten verpflichtet. Weil geregelte Arbeitsmigration nach Europa für Zielländer, Herkunftsländer und Migranten selbst Vorteile bringt, müssten auch Arbeitsmigranten Chancen geboten werden. „Je weniger legale Kanäle es gibt, desto größer wird der Druck auf das Asylsystem und es entstehen immer mehr illegale Routen“, argumentiert Bauböck.  Migration hat es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben und wird es immer geben, die Frage ist, wie sie menschenwürdig reguliert wird, meint
Bild von Raimund LöwIhr Raimund Löw
Corona 1Mit der neuen Omikron-Variante von Corona zahlen wir den Preis für die ungleiche Verteilung der Impfungen in der Welt, argumentieren NGOs. In Afrika sind 6 Prozent der Bevölkerung geimpft, während in Europa und Amerika 70 Prozent als ungenügend gelten und die Europäer abgelaufene Impfdosen wegwerfen. Mit ihrer Forderung, Patente für Coronaimpfungen aufzuheben, ist die Weltgesundheitsorganisation nicht durchgedrungen. Die EU, darunter auch Österreich, sind dagegen. Eine Entscheidung der Welthandelsorganisation WTO ist verschoben worden. Wie kompliziert die Sachlage auch angesichts schlechter Gesundheitssysteme in den armen Staaten ist, beleuchtet Antony Faiola in der Washington Post. Ein lesenswerter Überblick.
Corona 2Alles, was man bisher über Omikron weiß (darunter auch warum die neue Variante heißt, wie sie heißt) hat der Epidemiologe Robert Zangerle in Armin Thurnhers Seuchenkolumne zusammengefasst. Pflichtlektüre für die Hobbyvirologinnen und Hobbyvirologen unter Ihnen!
Aus der WeltAuf Twitter gibt es heute Vormittag ein seltenes Ereignis: Tausende folgen einem Aufruf von Amnesty International Deutschland zur Unterstützung der chinesischen Bloggerin Zhang Zhan. Zhang Zhan hatte als Erste über den Corona-Ausbruch in Wuhan berichtet. Bürgerjournalistin ohne Kontrolle der Kommunistischen Partei? Da können die Nachrichten noch so wichtig und wahr sein, ein solches Verhalten wird verfolgt. Zhang Zhan wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Sie ist in den Hungerstreik getreten und befindet sich nach Angaben von Amnesty in Lebensgefahr. Durch die  Twitter-Kampagne unter dem Hashtag #ZhangZhan sollen Europas Regierungen aufgefordert werden, sich in Peking für die Bloggerin einzusetzen. Auch Österreich ist gefordert, in Peking für Zhang Zhan vorstellig zu werden. Wenn Sie den Aufruf unterstützen möchten, verlinken Sie auf Twitter auch die gefragten politischen Würdenträger: @a-schallenberg @LinhartBMEIA und @vanderbellen.
HinweisVermutlich haben Sie morgen Abend noch nicht sonderlich viel vor, darum wollen wir Ihnen etwas empfehlen: Barbara Blaha, die Leiterin des sozialliberalen Momentum Instituts, wird bei den Wiener Stadtgesprächen zu Gast sein. Im Gespräch mit Peter Huemer wird es darum gehen, wie eine „Politik für die Vielen“ aussehen könnte und welche Visionen Demokratie und Klima brauchen. Beginn ist 19h, über diesen Link können Sie das Gespräch mitverfolgen.
Noch ein HinweisBis 8. Dezember läuft noch unsere Spendentombola „Hilfe, Geschenke“ zu Gunsten des Wiener Integrationshauses. Wenn Sie beim Schenken auch etwas Gutes tun wollen, stöbern Sie doch mal durch die 194 schönen Dinge, die uns von unseren liebsten Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen zur Verfügung gestellt wurden. Ab einer Spende von 10 Euro pro Los sind Sie mit dabei. In welche Projekte das gesammelte Geld fließt, erfahren Sie hier.