30 Jahre nach den Revolutionen von 1989 – Notizen für eine Analyse im ORF

In zwei Tagen vor 30 Jahren ist die Berliner Mauer gefallen. Die Teilung Europas ist zu Ende gegangen. Viele erinnern sich an die Demonstranten in Ostdeutschland oder die samtene Revolution in Prag und wie der Eiserne Vorhang zwischen Österreich und Ungarn zerschnitten wurde. Losgetreten wurde die Bewegung in Moskau, durch die Reformen Michail Gorbatschows. Wie groß wären die Erfolgschancen der Demokratiebewegung ohne Gorbatschow gewesen?
Revolutionäre demokratische Bewegungen hat es immer wieder gegeben im Ostblock, der Prager Frühling 1968, in Polen die Solidaritätsbewegung, die ungarische Revolution von 1956. Aber das wurde alles niedergeschlagen. Ohne Gorbatschow an der Spitze der Sowjetunion wäre das 1989 genauso passiert.
Das war das Besondere vor 30 Jahren: die demokratischen Volksrevolutionen gegen das weltweite sowjetische Imperium waren kombiniert mit dem Reformer Gorbatschow in Moskau.
Das haben die Demonstranten in der DDR ganz genau gewusst, daher hat es gegen Honecker auch die Rufe Gorb, Gorbi gegeben.
Und wir dürfen nicht vergessen: es hat damals auch eine Revolution in Moskau gegeben. Und die Revolution war, dass die Angst vor dem Staat, vor der politischen Polizei, vor der Zensur verschwunden ist. Innerhalb weniger Monate – ich war damals Korrespondent in Moskau und habe das erlebt.
Nicht nur für die einzelnen Bürger ist die Angst verschwunden, auch für die Völker. Plötzlich haben die Armenier, die Georgier, die Balten ihre Autonomie und bald dann auch ihre Unabhängigkeit verlangt.
Ohne diese Kombination des Reformers ganz oben und der Volksrevolutionen unten hat dazu geführt, dass sich das sowjetische Imperium fast ohne Blutvergießen aufgelöst hat. Das war ziemlich einzigartig in der Geschichte.
Welche Rolle hat denn der demokratische Westen für den Umbruch 1989 gespielt, was haben die USA als größte Gegenspieler der Sowjetunion im Kalten Krieg beigetragen?

Es waren alle total überrascht. Niemand hat mit diesem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums gerechnet, niemand hat an die Implosion der Sowjetunion gedacht. Auch die vielen Sowjetunion-Experten in den USA haben sich noch 1989 nicht vorgestellt, dass die Sowjetunion zwei Jahre später nicht mehr existieren wird.
Klar, in der Zeit des Kalten Krieges waren Marktwirtschaft und Demokratie, die Gegenmodelle zum Kommunismus. Menschenrechte, freie Presse das war die Soft Power des Westens und die war sehr wirksam .
Aber konkret hat sich zum Beispiel der damalige amerikanische Präsident Bush vor der Auflösung der Sowjetunion explizit gegen die Unabhängigkeit der Ukraine ausgesprochen, weil man das Chaos in der SU mit ihren vielen Atomwaffen gefürchtet hat.
Die Fehler sind später passiert, bei der Art und Weise, wie die NATO in den Osten ausgeweitet wurde und wo man vergessen hat, dass man Gorbatschow versprochen hat, dass man die Schwäche Russlands nicht ausnützen wird.
Wenn man prodemokratische Stimmung in Moskau in Straßen 1989 in Erinnerung hat, dann ist diese vergiftete Atmosphäre zwischen Russland und Westen die größte Fehlentwicklung, auf der Putin aufbaut und die Putin schürt.
Die ehemaligen Ostblockstaaten sind parlamentarische Demokratien geworden, sie sind längst Mitglieder der Europäischen Union und der NATO, auch die ehemalige Sowjetrepubliken des Baltikums sind Teil des Westens. Das alles ist durch die Revolutionen von 1989 möglich geworden. Aber gibt es nicht eine neue Teilung Europas, die an ganz ähnlichen Linien verläuft wie einst die Grenzen zwischen den Blöcken?
Es gibt diese Trennlinien, natürlich.
Aber es gibt nicht nur Ost-West Unterschiede in Europa, sondern auch Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden, manchmal in einem einzigen Nationalstaat, wenn man sich die Differenz in Italien zwischen dem hochentwickelten Norden und dem armen Süden ansieht.
Zum großen Teil sind das Unterschiede, die es in allen großen Staaten gibt. In den USA ist das nicht viel anders, wenn man daran denkt, wie weit die Südstaaten, die arm sind und tiefreligiös, von den liberalen und reichen im Nordosten entfernt sind. Das ist gar nicht viel anders als in Europa, mit den Nordstaaten in Skandinawien und den Südstaaten am Mittelmeer.
Von Indien und China mit seinen noch viel größeren internen Unterschieden will ich gar nicht reden.
Diese Vielfalt muss kein Hindernis sein, dass sich die EU weiterentwickelt.
Vielfalt in Europa Sie haben mit der Geschichte zu tun, wobei das nicht nur eine Folge des Kalten Krieges ist. Autoritäre Regierungen hat es in Ungarn oder Polen auch vor dem Kommunismus gegeben.

Wie groß ist die Gefahr, dass diese Unterschiede 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges in Europa wieder größer werden?
Osteuropa hat wirtschaftlich unglaublich aufgeholt in den letzten 30 Jahren. Und dieser Aufholprozess geht weiter. Das Wirtschaftswachstum ist nach wie vor in den ehemaligen Oststaaten größer als im Westen, größer auch als in Österreich oder Deutschland.
Es sind demokratische Mehrparteiensysteme und Rechtsstaaten, die funktionieren, trotz aller Schwächen. Da sind unglaubliche Entwicklungen.
Natürlich, es gibt Schattenseite, die Abwanderung aus Osteuropa, die gefährlich ist, die Korruption, die nationalistische Rhetorik. Aber vieles davon kennen wir überall in Europa genauso wie wo anders in der Welt. Die Möglichkeiten gegen Fehlentwicklungen etwas zu tun, sind in der EU aber definitiv größer als anderswo. Auch dank des Erbes der Revolutionen von 1989.
Das waren zwar patriotische Bewegungen, aber nicht nationalistisch. Ideen war globale Ideen der Demokratie und Freiheit.

 

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