Warum der Libanon für Europa so wichtig ist, 22.11.2017

Den Wenigsten ist es bewusst, aber die Sicherheit Europas entscheidet sich zur Zeit im Libanon. Frankreichs Präsident Macron hat den in Saudi Arabien unter merkwürdigen Umständen festgehaltenen Noch-Regierungschef Hariri nach Paris geholt. Französische Vermittlung soll verhindern, dass in dem Kleinstaat, der in besseren Zeiten als Schweiz des Nahen Ostens galt, ein verheerender Stellvertreterkrieg zwischen dem schiitischen Iran und der sunnitischen Hauptmacht Saudi Arabien ausbricht.
Seit 1975 hat der Libanon Bürgerkriege und militärische Interventionen erlebt, aus denen das Land nach langem Ringen immer wieder einen Ausweg fand. Mit internationaler Hilfe. Europäische Friedenstruppen sichern seit der letzten Invasion Israels im Süden den Waffenstillstand. Auf 6 Millionen Einwohner kommen 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge. Wird der Libanon durch einen Zusammenbruch des labilen Gleichgewichts der Volksgruppen und religiösen Milizen ein zweites Syrien, wäre Europa noch direkter betroffen, als vom Syrienkrieg.
Der libanesische Ministerpräsident Hariri wurde von den Saudis vor zwei Wochen nach Ryad zitiert, um dort im Fernsehen seinen Rücktritt zu erklären. Er war sichtlich selbst schockiert. Das Verwirrspiel hat mit der wachsenden Aggressivität der Saudis unter dem jungen Kronprinzen Mohammed Bin Salman zu tun. Hariri, Sohn eines vom syrischen Geheimdienst via Autobombe ermordeten früheren Regierungschefs, leitet in Beirut eine Großen Koalition sunnitischer, christlicher und schiitischer Parteien. Dem Drängen des saudischen Kronprinzen, mit der schiitischen Hisbollah zu brechen, wollte er nicht nachgeben, worauf er zum Rapport und zum Amtsverzicht nach Riyad beordert wurde.
Mit aller Macht wollen die Saudis den wachsenden Einfluss des Iran zurückdrängen. Teheran hat nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak freundschaftliche Beziehungen zur schiitisch dominierten Regierung in Bagdad aufgebaut. In Damaskus helfen iranische Revolutionsgardisten dem Assadregime den Bürgerkrieg zu gewinnen. Im Libanon agieren die schiitischen Gotteskrieger der Hisbollah als Staat im Staat. Die Vorstellung eines proiranischen Einflussgebietes bis ans Mittelmeer ist eine Horrorvision für die konservativen sunnitischen Staaten.
Der saudische Kronprinz lässt einen blutigen Krieg gegen schiitische Rebellen im Jemen führen, blockiert das mit Teheran verbündete Emirat Katar und sucht sogar ein Bündnis mit Israel, um gegen den Iran vorzugehen. Eigentlich könnte man erwarten, dass die Supermacht Amerika die Saudis vor Abenteuern abhält. Aber Donald Trump würde am liebsten das Atomabkommen mit dem Iran aufkündigen. Die US-Administration befeuert den saudischen Konfrontationskurs. Der Preis ist eine weitere Destabilisierung der südöstlichen Nachbarschaft Europas.
Den französischen Vermittlungsversuch hat Präsident Macron bei einem kurzfristig organisierten dreistündigen Gespräch mit Kronprinz Mohammed Bin Salman am Flughafen von Ryad persönlich eingeleitet. Außenminister Le Drian klappert die Golfstaaten ab. Eine Aufkündigung des Atomdeals mit dem Iran will Paris verhindern. Frankreich agiert solo als Vorreiter für die geostrategischen Interessen Europas, während Paris ungeduldig auf die Antwort aus Berlin auf Macrons Reformpläne für die EU wartet. Ohne eine Revolution in der behäbigen EU-Außenpolitik wird Europas Sicherheit in der zunehmend chaotischen Welt nicht zu verteidigen sein.
Einen kleinen Schritt in Richtung gemeinsamer Verteidigung hat es letzte Woche in Brüssel gegeben. 23 EU-Staaten einigten sich auf bessere Koordination bei Rüstung und Militärpolitik. Das Kürzel in der EU-Fachsprache ist PESCO, für Permanent Structured Cooperation. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula Van der Leyen spricht von einem Schritt in Richtung Europäische Armee. Auch Österreich hat unterschrieben. Noch-Außenminister Kurz wollte Gas geben, bevor der zukünftige Koalitionspartner FPÖ mitredet.
Der Weg zu einer ernsthaften gemeinsamen Verteidigungspolitik der Europäer ist weit. Frankreich hätte eine kleinere Staatengruppe mit engerer Kooperation bevorzugt, aber Deutschland wollte kein Signal in Richtung Kerneuropa. Dass Österreich als neutraler Staat über seinen Schatten springt und mitmacht, zeigt, dass die instabile Außenwelt auch an nationalstaatlich fixierten Skeptikern nicht vorbeigeht. Dringend sollten sich die Diplomaten in ganz Europa überlegen, wie Frankreich bei seiner gewagten Vermittlungsmission im Libanon unterstützt werden kann.

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