Lateinamerika geht nach links, 8.2.2022

  In den Kasernen der chilenischen Streitkräfte hängen  Porträts des toten Augusto Pinochet. Jahrzehnte nach der Rückkehr zur Demokratie. Der Diktator ist ein Symbol für die erbarmungslosen Militärjuntas  der Vergangenheit. Pinochet wird von der Rechten verehrt, weil er das Land 1973 angeblich vor dem Marxismus  des demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende gerettet hat.  Anfang März wird in Chile jedoch Maya Fernandez Allende Verteidigungsministerin werden. Die Enkelin des während des Pinochet Putsches umgekommenen Allende. Der spektakuläre Weg der designierten Ministerin ist ein Symbol für ein Comeback der Linken in Lateinamerika.

   Kindheit und Jugend hatte Maya Fernandez Allende unter dem persönlichen Schutz Fidel Castros im Exil in Kuba verbracht. Jetzt wird sie als Verteidigungsministerin die Vorgesetzte einer fanatisch antikommunistischen Generalität. Der Aufstieg der sozialistischen Abgeordneten  ist eine Folge des Triumphes des  linken Kandidaten Gabriel Boric bei den Präsidentschaftswahlen 2021.  Boric hatte als ehemaliger Anführer protestierender Studenten den Vertreter der Ultrarechten, einen Apologeten Pinochets, besiegt. Er wird Anfang März sein Amt  antreten. 14 von 24 Kabinettsmitgliedern sind Frauen, darunter Maisa Rojas, die bekannteste Klimawissenschaftlerin des Landes.

 In der Moneda, dem Amtssitz des chilenischen Präsidenten, hatte zuletzt der Milliardär Sebastian Pinera regiert. Das Land war 2019 durch Massenproteste gegen die wachsende soziale Ungleichheit  lahmgelegt. Gabriel Boric versprach die Privatisierung des Pensionssystems und andere neoliberale Maßnahmen aus der Pinochet-Ära rückgängig zu machen.

   In ganz Lateinamerika ist eine  politische Pendelbewegung nach links zu sehen, diagnostiziert die  New York Times. Die Wut über die korrupte Eliten hat sich in der Covid-Pandemie angesichts der  katastrophalen Zustand im Gesundheitswesen verstärkt.

 Linke Kandidaten waren bei demokratischen Wahlen zuletzt in Peru, Honduras und Bolivien erfolgreich. Der neue peruanische Präsident Pedro Castillo ist ein  Lehrer aus der Provinz mit marxistisch-leninistischer Vergangenheit. Er steckt bereits in großen Schwierigkeiten.  In Honduras, dem Staat mit der  stärksten sozialen Ungleichheit des Kontinents,  will die zukünftige sozialistische Präsidentin Xiomara Castro ein Grundgehalt für Arme einführen. Bolivien wird nach einem ultrakonservativen Zwischenspiel von Luis Arce geführt, einem Parteifreund des früheren Indiopräsidenten Evo Morales.  

  In Argentinien haben die  Peronisten, die traditionelle linkspopulistische Volkspartei, trotz früherer Misswirtschaft wieder das Sagen. Und in Mexiko regiert als Präsident der Armen der unter dem Kürzel AMLO bekannte populäre Staatspräsident Andres Manuel Lopez Obrador.

  Die  Linkspolitiker sind durch Wahlen an die Macht gekommen, nicht durch Umstürze. Die Träume von einer gerechteren Gesellschaftsordnung bleiben lebendig,  aber Triebkraft des Wechsels ist das  elementare Bedürfnis nach einer besseren Grundversorgung. Die lateinamerikanische Linke ist reformistisch geworden. In Brasilien hofft  Ignacio „Lula“ de Silva im Herbst dieses Jahres auf ein Comeback. Umfragen geben dem Ex-Präsidenten einen Vorsprung von 30 Prozent gegenüber dem rechtsextremen Amtsinhaber Bolsonaro. Auch in Kolumbien stehen Wahlen bevor, für die sich der aus der Stadtguerilla kommende ehemalige Bürgermeister der Hauptstadt Bogota Gustavo Petro gute Chancen ausrechnet.

 Selbstverständlich gibt aus auch andere Entwicklungen. Ekuador ist vom links regierten Land zu einem Hort der Ultrakonservativen geworden. In Nikaragua hält sich der frühere sandinistische Befreiungskämpfer Daniel Ortega mit Polizeistaatsmethoden an der Macht. Das autoritäre linkspopulistische Regime in Venezuela bleibt dank Unterstützung durch das Militär trotz schlimmer Misswirtschaft im Sattel.

 Die reformerische Linke Lateinamerikas ist mit  einem Scherbenhaufen konfrontiert, den die  konservativen Politik des vergangenen Jahrzehnts hinterlässt. Die Armut ist so hoch, wie seit 20 Jahren nicht mehr. Familien, die es um die Jahrtausendwende geschafft haben in die Mittelschichten aufzusteigen, werden durch Arbeitslosigkeit und Inflation wieder nach unten gedrückt. Hohe Schulden engen den Bewegungsspielraum der Staaten ein. Nicht nur in Chile  sinnen die  geschlagenen Rechtsparteien auf Rache.

  Ein Window of Opportunity bietet dagegen die internationale Situation. Die USA haben grünes Licht für eine Finanzspritze des gestrengen Internationalen Währungsfonds von 5,6 Milliarden Dollar für Argentinien gegeben. Die Biden-Administration will sich im Augenblick auf keine Konflikte mit unbequemen Nachbarn im Süden einlassen.

ZUSATZINFOS

Im Mai stehen in Kolumbien  Präsidentschaftswahlen bevor, in Brasilien im Oktober. Sollte der linke Arbeiterführer und Ex-Präsident Ignacia „Lula“ da Silva antreten, hätte der 77 jährige gute Chancen auf eine Wiederwahl. In Kolumbien hat ein Friedensvertrag mit der Guerillabewegung FARC 2016 den Weg zur Demokratisierung geebnet. Ehemalige Guerilleros sind im politischen Leben aktiv.

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