Die autoritäre Sackgasse für Nicaragua analysiere ich im Maily des Falter

nternationale Schlagzeilen machen heute die ungewöhnlichen Straßenproteste vom gestrigen Sonntag in Kuba gegen die Regierung in Havanna. Bedrückende Nachrichten für alle, die sich mit den Befreiungsbewegungen Lateinamerikas verbunden fühlen, kommen dieser Tage auch aus einem anderen Land: Das kleine Nicaragua, einst ein Hoffnungsgebiet für mehr Gerechtigkeit, ist dabei, zu einer lateinamerikanischen Ausgabe der weißrussischen Diktatur zu werden. Es herrscht brutaler Terror gegen Oppositionelle jeder Art. Langzeitpräsident Daniel Ortega, ein ehemaliger Freiheitskämpfer, lässt ganz so wie Langzeitdiktator Alexander Lukaschenko in Weißrussland reihenweise politische Konkurrenten verhaften, die ihn bei bevorstehenden Präsidentschaftswahlen herausfordern könnten. Die Repressionswelle in Nicaragua hat zu internationalen Protesten geführt. Seit 2018 mehrere hundert Demonstranten getötet wurden, bestehen Sanktionen der USA und der EU gegen das Umfeld Ortegas. Seit Kurzem schließen sich die linken Regierungen in Mexiko und Argentinien den Protesten an.

Nicaragua hat einmal überall in der Welt viele Menschen begeistert. In dem bitterarmen Land in Zentralamerika stürzte 1979 eine undogmatische Guerillabewegung den proamerikanischen Langzeitdiktator Anastasio Somoza. In linken Wohngemeinschaften hing Augusto Sandino, der historische Führer der Campesinos, der der siegreichen Sandinistischen Befreiungsfront FSLN den Namen gab, neben der Ikone Che Guevara. Aktivistinnen und Aktivisten aus Europa halfen bei der Kaffee-Ernte sandinistischer Kooperativen.

In der Revolution war Daniel Ortega einer der neun Kommandanten der Sandinistischen Befreiungsfront. Die FSLN-Regierung blieb gegen die vom CIA finanzierten sogenannten Contras, die von den Nachbarstaaten aus einen blutigen Bürgerkrieg führten, erfolgreich. Ihr Maily-Schreiber konnte als junger Reporter in Managua die Widerstandskraft der Sandinisten gegen den gewalttätigen großen Bruder Amerika beobachten. Sandinistenchef Ortega hat 1985 Wahlen gewonnen, 1990 wurde er abgewählt und feierte 2006 im Bündnis mit den Feinden von früher, der rechtsextremen Fraktion des Bürgertums und der katholischen Amtskirche, ein Comeback.

„Ortega ist heute schlimmer als Diktator Somoza je war“, zitiert eine Nicaragua-Kennerin nach einem Besuch in Managua letzten Monat einen ehemals führenden Sandinisten. „Unter Somoza wussten die Menschen, dass eine Kirche ein sicherer Ort war, auch wir Oppositionelle konnten uns in Kirchen flüchten. Gotteshäuser waren für die Staatssicherheit tabu. Daniel Ortega hat Kirchen unter Beschuss nehmen lassen, als Demonstranten dort Schutz suchten. Unter Somoza wurden politische Gefangene gefoltert, aber sie konnten von Angehörigen besucht werden. Heute wird ebenso gefoltert, aber niemand weiß, wo sich die Verhafteten befinden und ob sie überhaupt noch am Leben sind.“

Im November sind Präsidentschaftswahlen in Nicaragua. Ortega hat fast ein Dutzend möglicher Konkurrenten verhaften lassen oder ins Exil getrieben. Im Fernsehen behauptet er, dass er einen von den USA inszenierten Umsturz verhindert. Die gleiche Rechtfertigung liefert im fernen Weißrussland auch Alexander Lukaschenko für seinen Kampf gegen das eigene Volk. Ortega kontrolliert in Managua den Sicherheitsapparat, ganz so wie auch der Diktator in Minsk.

Die Apologeten der Repression, die in der europäischen Linken manchmal auch zu finden sind, verweisen auf die Tradition der Einmischung der USA gegen Reformbewegungen in Lateinamerika. Tatsächlich steht Nicaragua dank seiner Sozialpolitik besser da, als die Nachbarstaaten Honduras oder Salvador. An der Kleptokratie des Familienclans um den Präsidenten ändert diese Statistik aber nichts. Die Sandinisten tragen die Fahnen und Symbole von einst. Unter Ortega und seiner Frau, Vizepräsidentin Rosario Murillo, ist der sandinistische Staat jedoch zu einer neuen Oligarchenherrschaft degeneriert.

Nur damit es keine Missverständnisse gibt: Nicht der sandinistische Aufstand gegen die Unterdrückung des früheren nicaraguanischen Diktators Somoza hat zu den schlimmen Verhältnissen von heute geführt, sondern die Usurpation der Bewegung durch eine Clique in der Führung. Das klingt banal, aber automatisch ist bei revolutionären Umgestaltungen nichts, weder im Schlechten noch im Guten. Den Ortegas half die schwache Zivilgesellschaft ihres Landes bei der Manipulation des politischen Prozesses.

Widerstand gegen Machtmissbrauch und Korruption ist in jeder Konstellation erforderlich, egal, wo die Herrschenden herkommen und wie sie sich politisch drapieren, meintIhr Raimund Löw

Ihr Raimund Löw

aus-der-welt

Am vergangenen Wochenende hat Kuba die größten Massenproteste seit 30 Jahren erlebt. Covid legt seit Monaten den wirtschaftlich wichtigen Tourismus lahm. Es fehlt an Medikamenten und die Lebensmittel sind knapp. Die Demonstranten rufen Freiheitsparolen. Es ist die schwerste Krise für die kubanische Führung seit dem Tod Fidel Castros und dem Abtritt seines Bruders Raúl. Mit ein Grund für die Schwierigkeiten sind die US-Sanktionen, die von der Biden-Administration seit der Verschärfung durch Donald Trump nicht gelockert wurden. Die Korrespondenten des britischen Guardian berichten, dass nach einer Fernsehansprache von Präsident Miguel Díaz-Canel, bei der er zur Verteidigung der Revolution aufrief, auch tausende Anhänger der Regierung auf die Straße gegangen sind. Die Jugend demonstriert gegen das Regime, Ältere sind eher regierungstreu.

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