Xi Jinpings riskanter Weg zum roten Kaiser , 11.9.2022

Die Volksrepublik China steht vor einem richtungsweisenden Parteitag der Kommunistischen Partei. Seit Monaten sind alle Entscheidungen des riesigen Landes der Choreografie für das große Ereignis untergeordnet. Dutzenden Großstädte und zahlreichen Provinzen mit fast 100 Millionen Menschen stehen im pandemiebedingten Lockdown, weil einige hundert positive Corona-Fälle registriert wurden. Die Auswirkungen für die Wirtschaft sind gravierend. Aber eine Lockerung  der Null-Covid-Politik ist undenkbar. Jede Korrektur könnte als Zeichen der Schwäche verstanden werden, die Parteichef Xi Jinping  vermeiden muss. Die dritte Amtszeit, die er anstrebt, verändert das politische Gefüge des Landes.

  Nach dem Tod von Staatsgründer Mao Zedong 1976 setzte die Phase der wirtschaftlichen Reformen  ein. Nicht angetastet werden sollte die Herrschaft der Kommunistischen Partei. Reformer Deng Xiaoping schickte 1989 Panzer gegen die Demokratiebewegung des Tiananmen Platzes. Aber Parteichefs sollten nur mehr zwei Mal fünf Jahre an der Spitze stehen. Wie wichtig diese Begrenzung für die Stabilität war, wird gerne übersehen. In der Kommunistischen Partei  rivalisieren verschiedene Machtgruppen. Mit der Begrenzung der Amtszeit wusste jede Fraktion, dass in einigen Jahren wahrscheinlich eine andere Seilschaft am Zug sein wird. Aus Allmacht geborene Exzesse wie früher unter Mao blieben aus. Diese innerparteiliche  Balance zerstört Xi mit seinem Vorstoß zur unbegrenzten Präsidentschaft.

  Jedes Jahr  im Sommer trifft sich die Parteielite drei Autostunden von Peking entfernt im Badeort Beidahe.  Die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik kennt die Dynamik. Sie ist überzeugt, dass die Würfel für eine dritte Amtszeit des Parteichefs gefallen sind. Xi hat zuletzt  durch die  schwächelnde Wirtschaft und seine für Teile der Eliten fragwürdige Allianz mit Putins Russland Minuspunkte angehäuft. Aber er weiß die Streitkräfte hinter sich. Ein abruptes Ende seiner Herrschaft wäre ein Umsturz, den niemand riskieren will.

  Xi ist Sohn eines Mitkämpfers Maos und gilt laut US-Chinaexperten  als Prinzling, also jemand, dem  die Vormacht der Partei wichtiger ist, als die Wachstumszahlen der Wirtschaft.  Welche Kompromisse Xi eingehen muss, um an der Macht zu bleiben,  wird daran abzulesen sein, wie der wirtschaftsfreundliche Flügel  im nächsten Politbüro, dem höchsten Gremium der Partei, vertreten sein wird, sagt China-Expertin Weigelin-Schwiedrzig.

  Dass  es mit den guten Zeiten vorbei ist, erlebt der Peking-Korrespondent des ORF Josef Dollinger jeden Tag. Die Supermärkte in seiner Wohngegend Sanlitun sind geschlossen. Die Ausgehstraßen mit ihren Shops, Bars und Imbisstuben bleiben leer. Die erste Zeit der Covid-Maßnahmen konnte kleine Händler noch durchstehen, aber jetzt geht vielen der Atem aus. Die Null-Covid-Politik der Regierung bedeutet, dass  viele Provinzgrenzen geschlossen sind. Niemand kann sich darauf verlassen, dass bestellte Waren auch geliefert werden.

 Man realisiert, dass die Pandemie in den meisten Teilen der Welt gezähmt ist, während China sich  unverändert im Ausnahmezustand befindet, urteilt Dollinger.  Dafür hat die staatliche Kontrolle mit Überwachungssoftware und Millionen Kameras zu einem totalitären Schub geführt, argumentiert Dollinger in einem neuen Podcast, der unter dem Titel „China verstehen“ diese Woche über die blaue Seite des ORF anläuft.  

  Außenpolitisch sind die Freundlichkeiten in Richtung Westen  vorbei. Die Fahrt des chinesischen Präsidenten an der Seite der Queen in der königlichen Kutsche in London 2015 erscheint wie aus einem anderen Zeitalter. Die  Rivalität mit den USA  bestimmt die internationale Stellung Chinas.

  Unmittelbares Opfer der geopolitischen Konfrontation  ist Taiwan. Die Taiwanesen haben mit dem Provisorium gut gelebt, unter dem Schutz der USA zu stehen, als Staat mit eigener Währung und  eigenem politischen System, aber ohne internationale Anerkennung. Peking profitiert von taiwanesischen Investitionen. Der  kleine Nachbar gilt als  abtrünnige Provinz, obwohl die Insel nie Teil der Volksrepublik war. Regelmäßig droht China mit einem  Angriffskrieg. Militärexperten halten eine plötzliche Invasion für unwahrscheinlich. Aber Chinas Militär übte zuletzt eine Blockade. Die Stimmung gegen die USA und Taiwan ist aufgepeitscht. Leicht kann es zu  einem Zusammenstoß kommen.

    Chinas Öffentlichkeit ist vom Rest der Welt isoliert, wie schon lange nicht. Auslandsreisen gibt es  so gut wie keine mehr. Die Behörden stellen kaum noch Pässe aus. Der internationale Flugverkehr in Richtung China ist zum Erliegen gekommen. Die Weltmacht igelt sich ein und schottet sich ab. Kein gutes Vorzeichen für die dritte Amtszeit von Xi Jinping.

ZUSATZINFOS

Einparteiensystem für 1,4 Milliarden Bürger Seit dem Sieg Mao Zedongs 1949 regiert die  Kommunistische Partei die inzwischen 1,4 Milliarden Bürger Chinas.  Die KPCh ist mit 95 Millionen Mitgliedern die größte Partei der Welt. Ihre Führung steht in der Verfassung

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