Myanmars Generäle in der Defensive

 Europa fiebert mit den Demonstranten in Tiflis, die sich gegen die autoritären Pläne ihrer Regierung wenden, und wir zittern um einen Waffenstillstand für Gaza. Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit sollte aber auch über den Horizont der Nachbarschaft hinausgehen. In Myanmar, dem früheren Burma, bröckelt nach drei Schreckensjahren die Macht des Militärs.

  Mit den Nachbarn China, Thailand und Bengladesh nimmt der Vielvölkerstaat mit seinen 55 Millionen Einwohnern eine Schlüsselstellung in Südostasien ein. Die Militärs haben 2021eine spektakuläre demokratische Öffnung Myanmars nach Jahrzehnten der fast vollständigen Abschottung abgebrochen. Jetzt zeigt sich, dass die Rückkehr zur einer Diktatur nordkoreanischen Typs nicht gelingt. Aufständische  kontrollieren die Hälfte des Territoriums.

 Die Generäle unter Oberbefehlshaber Min Aung Hliang hatten vor drei Jahren durch ihren Putsch die Sehnsucht nach Freiheit verraten. Symbol des Verrats war die Festnahme von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, der Ikone der demokratischen Bestrebungen in Myanmar. Die prominenteste politische Gefangene ist vergangenen Monat nach Angaben des Militärs aus der Haft in Hausarrest entlassen worden. Wo  die 78-jährige festgehalten wird, ist nicht bekannt. Der in London lebende Sohn sagt, dass die Militärs seine Mutter als Faustpfand für allfällige Verhandlungen mit der Opposition einsetzen wollen.

  Aung San Suu Kyi  Tochter eines burmesischen Freiheitshelden und mit dem Schicksal des Landes eng verbunden. Unbeugsam hatte sie sich gegen frühere Militärdiktaturen gewehrt. Ihr Anwesen in der Wirtschaftsmetropole Yangon war von Soldaten umzingelt.  Der Friedensnobelpreis machte Aung San Suu Kyi zur internationalen Persönlichkeit für zivilen Ungehorsam, vergleichbar mit Mahatma Ghandi in seinem gewaltfreien Kampf gegen den Kolonialismus.

  2010 lockerten die Militärs in Myanmar das Regime. Die Partei der Nobelpreisträgerin, die National League for Democracy, fuhr einen triumphaleren Wahlsieg nach dem anderen ein. Die Armee hielt sich im Hintergrund, aber gab ihre Macht nicht auf. Die Besucher aus aller Welt strömten wieder zu den goldenen Pagoden des buddhistischen Landes. Die allgegenwärtigen Porträts Aung San Suu Kyis in Wohnviertel und Slums wurden zur  Herausforderung für die Generalität. Mit dem Putsch und der Inhaftierung der Frau, die de facto Regierungschefin war, sowie zahlreicher Abgeordneter  brach im Februar 2021 wieder eine dunkle Zeit an.

 Aung San Suu Kyi hatte sich in ihrer Regierungszeit geweigert, sich gegen den von der Armee betriebenen Völkermord an der islamischen Minderheit der Rohingya zu stellen. Eine Million Flüchtlinge sind seither in elenden Lagern  im benachbarten Bengladesh blockiert. Das furchtbare Schweigen der Nobelpreisträgerin zu den Massakern war der  Islamfeindlichkeit des Mehrheitsvolkes der Burmesen geschuldet. Die internationale Reputation Aung San Suu Kyis war zerstört. In dem von einem oft militanten Buddhismus geprägten Land selbst hatte es allerdings kaum jemand gewagt für die Menschenrechte der rechtlosen Rohingyas das Wort zu erheben. 

 2021 wurde alle Parteien verboten.  Aktivistinnen und Aktivisten, die an den Urnen gegen die vom Militär unterstützten Politiker erfolgreich gewesen sind, kamen ins Gefängnis. Mit der bisher verfolgten Gewaltlosigkeit war es vorbei. Aus dem Untergrund bildeten die Oppositionellen eine Gegenregierung, die zum bewaffneten Kampf gegen die Junta aufrief. Geschäftsleute und Studierende, Intellektuelle und Gewerkschaftler flüchteten ins Ausland oder gingen in den Untergrund. Sie verbündeten sich mit den Widerstandsorganisationen nationaler Minderheiten, die in dem riesigen Land seit Jahrzehnten aktiv sind. Die Armee verliert Stützpunkte und Kasernen. Eine Grenzstadt zu Thailand konnte sie nur mit Mühe zurückerobern.

 Tief im Dschungel hatten die Generäle die Hauptstadt Naypyidaw errichtet, fern von der unruhigen Wirtschaftsmetropole Yangon, dem früheren Rangun.  Normales Leben gibt es um  die  Regierungsanlagen  keines. Zum Regierungssitz führt direkt eine zwölfspurige  Autobahn, die sich den Besuchern in gespenstiger Leere präsentiert. Der Volksmund besagt, dass die Streitkräfte mitten in der Stadt eine Startbahn für Passagierflugzeuge im Kopf hatten, falls sie gezwungen wären sich  abzusetzen. Die Nachrichtenagenturen melden, dass es erste Drohnenangriffe gegeben hat.

  Ein Kollaps des Militärs kann nicht mehr ausgeschlossen werden. Das aus dem Untergrund agierende burmesische Oppositionsbündnis verspricht im Fall eines Machtwechsels einen Neuanfang mit weitgehenden Rechten für die Minderheiten. Dazu müsste auch Gerechtigkeit für die moslemischen Rohingya gehören, so schwer eine Rückkehr der Flüchtlinge bei der buddhistischen Mehrheit auch durchzusetzen sein wird. 

ZUSATZINFORMATIONEN

Die verfolgte islamische Minderheit der Rohingya

Die Rohingya, eine von 135 Volksgruppen Myanmars, werden von den Vereinten Nationen als die am stärksten  verfolgte Minderheit der Welt bezeichnet. Die Behörden haben der Volksgruppe die Staatsbürgerschaft entzogen und bezeichnen sie als illegale Einwanderer aus Bengladesh.

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