Vierunddreißig Jahre bevor eine russische Boden-Luft-Rakete den Flug MH17 der malaysischen Fluglinie vom Himmel holte, haben vermutlich westliche Kampfjets über dem Mittelmeer den gleichen Fehler begangen. Ende Juni 1980 stürzte eine vollbesetzte DC 9 der italienischen Fluggesellschaft Itavia unweit der Insel Ustica 60 Kilometer vor Sizilien ins Meer. Die 81 Passagiere und Besatzungsmitglieder wurden Opfer einer Rakete.
Jahrzehnte später gehört der mysteriöse Absturz zu den dunklen Episoden des Kalten Krieges, die möglicherweise vor der Aufklärung stehen.
Der italienische Journalist Andrea Purgatori, der an dem Fall seit Jahren arbeitet, ist überzeugt, dass französische Kampfflugzeuge aus Korsika die tödliche Rakete abgefeuert haben. Im Windschatten des Passagierflugzeugs sei eine libysche MIG unterwegs gewesen, in der man Muammar al-Gaddafi vermutete. Italienische Abfangjäger hatten einen Nato-Alarmruf losgelassen, weil sie vom grünen Licht des italienischen Geheimdienstchefs für den libyschen Militärflug nicht informiert waren.
Politische Folgen für die zum Zerreißen gespannte Situation im Mittelmeer gab es keine. Ein Jahrzehnt später gestand Gaddafi den USA sein Atomprogramm, und Libyen öffnete sich der Geschäftswelt Europas. Der Diktator wurde 2011 Opfer des Arabischen Frühlings und der Rachsucht des Westens.
Was im Juni 1980 vor der sizilianischen Küste wirklich passierte, wird hoffentlich bald ein italienisches Gericht enthüllen, hofft Purgatori in Le Monde diplomatique. Regierungschef Matteo Renzi will das Geheimnis um den Abschuss lüften, in den der italienische Geheimdienst, die Nato, die VI. US-Flotte und die französische Luftwaffe verwickelt waren.
Prominenten Cold Cases des Kalten Krieges, als die CIA Regierungen stürzte, widmet sich auch das amerikanische Magazin Foreign Affairs: Iran 1953, Kongo 1961, Chile 1973.
Der langjährige Afrika-Experte des Repräsentantenhauses beschreibt den Kongo unter Langzeitdiktator Mobutu als vom CIA geführten Staat: Mobutu bestand bis zuletzt auf seinem Gehalt als US-Agent. Das flächenmäßig zweitgrößte Land Afrikas sollte nach der chaotischen Unabhängigkeit von Belgien 1960 nicht auf sowjetfreundlichen Kurs gehen. Daher musste Patrice Lumumba, der linke Führer der Unabhängigkeitsbewegung, sterben. Er wurde durch eine CIA-Verschwörung ermordet. Die tragische Geschichte des Kongo, mit der Ausplünderung durch Mobutu und Millionen Toten, hat mit der von den USA organisierten Weichenstellung zu tun.
Von seinem Einsatz in Chile Anfang der 1970er-Jahre erzählt ein damals junger US-Agent: Die CIA-Zweigstelle in Santiago hat die Führung in Langley zwei Tage vor Pinochets Putsch gegen Allende informiert. Die ehemaligen Geheimdienstleute erzählen offen, wie ungeniert die CIA in der Zeit des Kalten Krieges Verschwörungen gegen demokratisch gewählte Regierungen sowohl in Chile als auch im Iran organisierte. Frauen der chilenischen Mittelschicht, die mit Pfannen und Töpfen gegen die linke Regierung demonstrierten, erhielten Subventionen aus der Kriegskasse der CIA. Aber weil es mehrere gescheiterte Putschversuche gab, hatte der Geheimdienst im Herbst 1973 die Hoffnung auf einen Umsturz schon aufgegeben. Richard Nixon war begeistert, als Pinochet doch noch zuschlug. Die Folgen sind bekannt: 17 Jahre Militärdiktatur.
Auch im Iran war es laut Foreign Affairs nicht die CIA, die 1953 das Startsignal zum Putsch der schahtreuen Militärs gegen Mohammad Mossadegh gab. Die Eisenhower-Administration sei von dem Umsturz überrascht worden. Aber systematisch hatten Amerikaner und Briten zuvor auf einen Putsch hingearbeitet, weil der Linksnationalist Mossadegh die britischen Ölfirmen nationalisiert hatte. Mit gutem Grund hat sich Barack Obama für die US-Machenschaften entschuldigt, die zu 25 Jahren Schah-Diktatur geführt haben.
Die Mitverantwortung des Westens an einigen der schlimmsten Diktaturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Folge einer bipolaren Sicht auf die Welt, in der automatisch jede antikolonialistische oder antikapitalistische Regung als Folge einer Moskauer Verschwörung interpretiert wurde.
Der Rückblick unterstreicht, wie wenig die heutigen Spannungen mit Russland mit dem Kalten Krieg zu vergleichen sind: Über Putin müssen sich die westlichen Geheimdienste im Nahen Osten, in Afrika oder Lateinamerika keine Sorgen machen. Im gegenwärtigen weltpolitischen Chaos ist eher das Fehlen glaubwürdiger Ordnungsmächte das Problem.