Afghanistan, Abschiebungen und wir, Falter Maily 5.8.2021

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat diese Woche die Abschiebung eines Flüchtlings aus Österreich nach Afghanistan gestoppt. Es handelt sich um einen höchst seltenen Eingriff in einen laufenden polizeilichen Vorgang. Die Abschiebung war für 3. August geplant. Die österreichische Regierung wird von den Richtern aufgefordert, die wachsende Bürgerkriegsgefahr in Afghanistan zu berücksichtigen. Damit fahren die Richter dem österreichischen Innenminister frontal in die Parade. Nehammer von der ÖVP will mehr Abschiebungen, obwohl er weiß, dass sich die Situation in Afghanistan jeden Tag verschlechtert. Die grüne Justizministerin musste sich vom Koalitionspartner einiges anhören, weil sie die Abschiebungspraxis evaluieren will. Finnland und andere skandinavische EU-Staaten haben längst aufgehört, Flüchtlinge in das Land am Hindukusch zu transportieren.

Die Nachrichten aus Afghanistan haben etwas Unwirkliches. Jeden Tag wird eine neue Provinzhauptstadt angegriffen. Vorgestern gab es in der Hauptstadt Kabul einen spektakulären Anschlag gegen den Verteidigungsminister. Die islamistischen Taliban kontrollieren das halbe Land. In Kabul, einer 4-Millionen-Metropole, stehen die Menschen Schlange um einen Pass zur Ausreise zu ergattern. Die Hauptstadt könnte von den Extremisten überrannt werden, vermuten Experten, so wie Saigon vom Vietkong am Ende des Vietnamkrieges. Die Weltmacht Amerika sieht zu, wie eine verheerende Niederlage immer wahrscheinlicher wird.

Afghanische Freunde haben Zweifel, ob von den aktuellen Hiobsbotschaften wirklich auf den unmittelbaren Zusammenbruch der pro-westlichen Regierung zu schließen ist. Die Taliban werden vom pakistanischen Geheimdienst unterstützt und haben ihre wichtigste Basis im Mehrheitsvolk der Paschtunen. Die Stammesmilizen der kleineren Volksgruppen wollen sich zusammenschließen, um Widerstand zu leisten. Die afghanischen Streitkräfte sind von den Amerikanern trainiert und bewaffnet. Aber ihr Selbstvertrauen schwindet. Kaum ziehen sich bei einem Gefecht die Elitetruppen aus Kabul wieder zurück, kapituliert das lokale Militär.

Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1989 konnte sich der pro-sowjetische Machthaber Najibullah noch zweieinhalb Jahre halten, bis Jelzin ihm den Geldhahn zudrehte. Die Taliban zerrten den Mann in Kabul aus der UNO-Mission, folterten ihn zu Tode und hängten seinen Leichnam auf einen Laternenpfahl. Ob Präsident Aschraf Ghani, ein ehemaliger Weltbankfunktionär, so lange aushalten wird, wagt niemand zu sagen.

Die Lage ist so dramatisch, dass die USA begonnen haben, ehemalige afghanische Mitarbeiter mit ihren Familien aufzunehmen. Bei einer Machtübernahme der Taliban wäre ihr Leben bedroht. In Deutschland gibt es zumindest eine Diskussion, ob nicht auch die Deutschen Köche, Fahrer und Übersetzer aufnehmen sollten, die jahrelang mit der Bundeswehr zusammen gearbeitet haben.

Und Österreich? Auch das österreichische Bundesheer war mit einige Offizieren am westlichen Militäreinsatz in Afghanistan beteiligt. Hatten die Österreicher in Kabul keine lokalen Helfer? Im Verteidigungsministerium sagt man: nein. Die Österreicher seien immer nur in der zentralen Kommandozentrale im Einsatz gewesen und hätten von Afghanistan selbst so gut wie nichts gesehen. Mag sein. Aber waren die westlichen Militärbasen nicht ihrerseits auf ortskundige Mitarbeiter angewiesen? Sollte nicht auch Österreich für Afghanen, die mit den westlichen Militärs zusammen gearbeitet haben, die Türen öffnen? Militärische Ehre und so, fragt man?

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