Solidarität, Rendi-Wagner und die Ukraine, Falter Maily 24.4.2022

In der ORF-Pressestunde wehrte sich heute Pamela Rendi-Wagner gegen den Vorwurf, dass die SPÖ zu Russlands Ukrainekrieg nichts einfällt. Sie hat unzählige Telefonate geführt, sagt die SPÖ-Vorsitzende, sogar mit dem ukrainischen Botschafter. Aber von Solidarität mit dem ukrainischen Widerstand gegen den russischen Angriff war nichts zu hören. Putins Agression hat die SPÖ natürlich längst verurteilt. Wer erwartet hat, dass die SPÖ-Vorsitzende vor dem großen TV-Publikum ihr Entsetzen über die russischen Kriegsverbrechen ausdrückt, wurde enttäuscht. Nichts darüber, ob es Rendi-Wagner eigentlich richtig findet, dass die Europäische Union den Verteidigern Waffen liefert, auch mit dem Okay Österreichs. Kein Wort darüber, dass der russische Aggressionskrieg die größte sicherheitspolitische Umbruchsituation für Europa seit Jahrzehnten bringt.

  Olaf Scholz hat vom russischen Angriffskrieg als Zeitenwende gesprochen. Ein verstörtes Deutschland hadert seither mit  den Konsequenzen dieser Erkenntnis. Bei der  österreichischen Parteivorsitzende weiß man nicht so recht, ob sie die Dramatik der neuen Realität überhaupt wahrnimmt. Oder ob die SPÖ glaubt, dass geopolitisches Wegschauen eine kluge Taktik für die verunsicherte heimische Öffentlichkeit ist.

In ganz Europa sind die  Sozialdemokraten in ihrer Haltung zum Ukrainekrieg gespalten. Wichtige Strömungen  wollen die Bedrohung durch den kriegerischen Totalitarismus des Putin-Regimes nicht wahrhaben.  Sie hängen der Entspannungspolitik einer früheren Epoche an. Aber die Codes der Ostpolitik unter Willy Brandt vor 50 Jahren führen heute zu Appeasement gegenüber einem mit Atomwaffen drohenden Aggressor. Ganz anders agieren die sozialdemokratischen Regierungscheffinnen  der EU-Mitgliedsstaaten Finnland, Schweden und Dänemark. Sie haben eine grundlegende Revision der  Sicherheitspolitik in ihren Ländern eingeleitet. Zuwachs für die NATO aus Skandinavien ist wahrscheinlich. Rendi-Wagner sieht keinen Anlass über  die österreichische Neutralität auch nur zu diskutieren.

  Putins Krieg gegen die Ukraine wird so bald nicht zu Ende gehen. Er ist nicht auf das Nachbarland selbst beschränkt, wie die unverhohlenen  Drohungen gegen Moldau von letzter Woche zeigen. Letztlich besteht das  Kriegsziel des Kreml in  einem europaweiten Rollback der in den Revolutionen von 1989 erkämpften Freiheiten. Im Inneren Russlands läuft eine Säuberungswelle unter totalitären Vorzeichen. Gegen welche Außenfeinde  Putin  militärische Gewalt in Zukunft noch einsetzen wird, kann niemand sagen.

  Die Sozialdemokratie war einmal so etwas wie eine internationale Partei. Mit Hilfe der Sozialistischen Internationale haben Willy Brandt, Olaf Palme und Bruno Kreisky eigene Akzente in der Weltpolitik gesetzt. Im Bruno Kreisky-Forum hat Ex-Kanzler Vranitzky seiner Nachnachnachfolgerin Pamela Rendi-Wagner im Herbst einen  Rat gegeben: Sie sollte wieder die Funktion eines Internationalen Sekretärs der SPÖ einführen. Es geht nicht um Posten sondern darum, ob eine potentielle Regierungspartei ohne internationale Identität auskommen kann.  Rendi-Wagner sagt, sie wünscht sich Österreich als friedensstiftende Dialogmacht. Das klingt gut, ob viel Realismus dahinter steckt, darf bezweifelt werden. Die große Frage ist:  Dialog mit wem und zu welchem Zweck? In Russland gibt es  weltoffene Bürger, demokratische Intellektuelle, Medienleute und Oppositionelle, die über die unter Putin in Richtung faschistischer Methoden abgleitende  Staatsmacht  verzweifelt sind. Gerade die SPÖ könnte für russische Demokraten zur Anlaufstelle werden. Es gibt  kluge Ukrainer, die wissen, dass es nach dem Krieg ein Leben mit einem hoffentlich geläuterten  Russland geben wird.  Könnte die österreichische Sozialdemokratie nicht versuchen russischen Oppositionellen und ukrainischen Demokraten einen Boden für Dialog und Verständigung in Wien zu schaffen? Verständigung über Kriegsgrenzen, wenn noch gekämpft wird,  ist wahnsinnig schwer. Klar. Gelebte Solidarität mit dem Widerstandskampf der Ukraine und mit Kriegsgegnern in Russland würde  auch der SPÖ helfen,  in der gefährlichen neuen Welt Orientierung zu finden.

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