China wird die Weltwirtschaft nicht in den Abgrund stürzen. Ein halbes Jahr nach dem Börsenkrach in Shanghai sind die panischen Schlagzeilen aus der internationalen Presse verschwunden. Beim Volkskongress, der zu seiner jährlichen Plenartagung in Peking zusammenkommt, ist von den Regierungsvertretern die Botschaft wieder und wieder zu hören: harte Landung wird es keine geben. Aber die Hürden beim Umbau einer verlängerten Werkbank der Weltwirtschaft zu verstärkter Konsumgüterproduktion für die eigenen Bürger sind riesig.
Vor 40 Jahren starb Mao Tsetung. Der staatlich gelenkte Kapitalismus, der mit Deng Xiaopings Reformen begann, hat nicht nur zum größten Wirtschaftswunder der modernen Zeit geführt, sondern auch das Verhältnis der Bürger zur regierenden Kommunistischen Partei auf eine neue Basis gestellt. Wie überall wird viel geätzt über die Herrschenden in China. Aber letztlich sehen die Menschen in der KP den Garanten, dass es jeder Familie jedes Jahr ein bisschen besser geht. Weder der Smog in den Städten noch verheerende Industriekatastrophen haben das Vertrauen in das wirtschaftliche Know How der Mannschaft um Präsident Xi Jinping zerstört.
Die Kehrseite des unausgesprochenen Deals zwischen Bürgern und Staat: sollte die Garantie, dass es immer nur aufwärts geht, einmal platzen, kann es sehr rasch ungemütlich werden für die Regierung. Daher war die Hilflosigkeit der Finanzgewaltigen beim Börsenabsturz im Sommer 2015 so gefährlich. Daher ist auch die neue Marke für ein Wirtschaftswachstum zwischen 6,5 und 7 Prozent wichtig. Bis 2030 soll sich das Bruttonationalprodukt verdoppeln, so sieht es der Fünfjahresplan vor. Die Legitimität der KP Chinas beruht darauf, dass der staatliche gelenkte Kapitalismus funktioniert.
Zweifel am Know How der Führung sind systemgefährdend. Die Internetzensur ist während der Tage des Volkskongresses besonders scharf. Hunderte Blogs wurden gesperrt. Der ehemaligen Immobilienmogul Ren Zhiqiang, ein frecher Blogger, verlor von einem Tag auf den anderen 38 Millionen Follower. Parteichef und Präsident Xi Jinping hat die Redaktionen der großen Medien besucht, um zu unterstreichen, dass sie sich als Sprachrohr der Staatspartei zu verstehen haben. Der Gegensatz zwischen der straffen politischen Diktatur und einer vielfältigen Gesellschaft, mit Widersprüchen und Interessensgegensätzen, wird immer auffälliger.
Die größten Gefahren für die Stabilität kommen in den Augen der chinesischen Führung von außen. Ganz vorne auf der Gefahrenskala stehen die Provokationen des ehemaligen Verbündeten Nordkorea. Kriegsgefahr um das Atomprogramm Kim Jong Uns könnte den technokratischen Plänen in Peking den Boden unter den Füßen wegziehen. Es ist paradox: China ist die aufsteigende Weltmacht, kann aber einen kleinen Nachbarn, der völlig von Öl- und Gaslieferungen abhängig ist, nicht unter Kontrolle bringen.
Kim Jong Un droht verbal mit einem Präventivkrieg. Wenn seine Militärs tatsächlich atomare Sprengköpfe auf Langstreckenraketen gegen die USA montieren, wäre der Druck auf jeden amerikanischen Präsidenten enorm, zu reagieren. Bereits verhandeln die südkoreanischen Militärs mit dem Pentagon über ein gemeinsames Raketenabwehrprogramm, das China unter allen Umständen verhindern will, weil die Horchstationen bis tief in chinesisches Territorium reichen würden. Japans konservativer Premier Abe will die pazifistische Verfassung verändern und gegen China aufrüsten, auch mit dem Hinweis auf Nordkorea. Eine internationale Krise um die koreanische Halbinsel hätte massive Auswirkungen auf die Stellung Chinas in der Welt.
Im Rahmen des Volkskongresses fragt eine Journalistin der nationalistischen Tageszeitung Global Times Außenminister Wang Yi, ob China im Ernstfall seinem langjährigen Verbündeten Nordkorea gegen die USA beistehen würde, wie im Koreakrieg? Der Minister bleibt unverbindlich, aber Peking steckt in einem Dilemma. Der Versuch, Nordkorea durch sanften Druck zur nuklearen Abrüstung zu bewegen, ist gescheitert. Die Sanktionen werden verschärft. Aber ein Totalboykott könnte zu Chaos in Pjöngjang führen, ein großes Risiko in einem Atomstaat. Nordkorea offiziell als Atommacht anzuerkennen könnte Kim Jong Un beruhigen. Aber ein solcher Schritt würde von den USA, Südkorea und Japan als feindlicher Akt gewertet.
China wird nicht tatenlos zusehen, wie die Halbinsel destabilisiert wird, sagt Außenminister Wang Yi. Aber was heißt das? Brüderliche Hilfe, um die nordkoreanischen Atombomben unter Kontrolle zu bringen, bevor die USA auf eine ähnliche Idee kommen? Eine heiße Koreakrise könnte für Chinas Führung rasch gefährlicher werden als die fallenden Börsenkurse in Shanghai.