Die arabische Welt nach dem Frühling

Gesehen hat den  Film namens „Unschuld der Moslems“ eigentlich niemand.  14 Minuten sind im Internet als Clip verfügbar. Plumpe Szenen, in denen ein dümmlicher Unmensch und Kinderschänder auftritt, mit dem  der Religionsgründer Mohammed gemeint ist.  Eine eindeutige Provokation. Abgrundtief schlecht gemacht, aber ganz so als ob jemand  gezielt wütende Reaktionen beleidigter Gläubiger hervorrufen wollte.
Für Produktion und Verbreitung sorgte ein Netzwerk amerikanischer Islamhasser. Ein aus Ägypten stammender  koptischer Tankstellenbesitzer namens Nakoula Basseley Nakoula, der es aus dem sicheren Südkalifornien seinen ehemaligen Mitbürgern offensichtlich ordentlich hineinsagen will,  scheint die Hauptfigur zu sein. Mit den koptistischen Extremisten verbündet hat sich der fundamentalistische Prediger  Pastor Terry Jones aus Florida, der vor Jahren mit Koranverbrennungen Schlagzeilen machte.
Anfang September ging das Video in arabischer Übersetzung Online. Wenige Tage später wurde es auf einem ägyptischen Religionssender als Beispiel für Islamophobie gezeigt.  You tube, die  von staatlicher Zensur befreiten  Fernsehkanäle der islamischen Welt und der Hass auf den Westen haben das Schmierstück seither zum Auslöser eines antiwestlichen Gewaltausbruchs  in der gesamten islamischen Welt gemacht. Genau  diese Reaktion dürfte  bezweckt gewesen sein.
Zuerst ein bisschen Reality Check: die fanatisierten Gewalttäter  auf den Fernsehbildern sind einige hundert, maximal ein paar tausend. Der Sturz der Diktaturen in der arabischen Welt war das Werk von Millionen.  Die demokratisch gewählten islamistischen Parteien in Ägypten und Tunesien mahnen zur Besonnenheit. Der Clash der Hassprediger in Ost und West muss nicht zum Zusammenstoß der Kulturen werden.
Chris Stevens, der  amerikanische Botschafter in Libyen, der  bei dem  Sturm auf das Konsulat in Benghazi umgekommen ist, war  ein langjähriger Freund der libyschen Opposition. Für den Angriff selbst war das inkriminierte Video höchstens der Anlass.  Wahrscheinlich wollte eine  mit Al Kaida sympathisierende Truppe am Jahrestag der Anschläge des 11.September  ein Zeichen setzen. Darauf deutet der Einsatz schwerer Waffen hin.   Sind die jüngsten Wahlen in Libyen doch  von einer  prowestlichen Parteienallianz gewonnen worden, die darum ringt ein Minimum an staatlicher Ordnung zu schaffen.
Der britische Economist warnt davor, angesichts der  brennenden westlichen Botschaften  zu vergessen, dass der arabische Frühling bei allem Chaos nach wie vor in die richtige Richtung geht. Tunesien, Libyen und Ägypten werden von demokratisch gewählten Regierungen geführt. Die Moslembrüder agieren trotz aller Retro-Ideen über Frauen, Pluralismus und Menschenrechte pragmatisch. Den Aufruf zu Protesten nach dem Freitagsgebet in Ägypten hat die Organisation hastig zurückgezogen.
Vor sieben  Jahren war eine Gewaltorgie gegen ausländische Botschaften die Reaktion auf  Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung. Religiöser Fanatismus beherrscht  auch die  Proteste gegen das aktuelle Anti-Islam-Video. Aber Ventil gegen  prowestliche Diktatoren sind diese Demonstrationen keine mehr.  Ägypten und Tunesien entwickeln sich in die Richtung der gemäßigten islamischen Demokratie der Türkei, so die kühlen Analytiker des britischen Blattes. Nordafrika geht nicht  den Weg des iranischen Gottesstaates.
Überraschend war, wie heftig die Mohammed-Kontroverse auch auf den amerikanischen Präsidentenwahlkampf ausstrahlte.  Zum Entsetzen vieler republikanischer Parteifreunde nahm  Mitt Romney die Tragödie  in Benghazi zum Anlassen Barack Obama scharf anzugreifen. Das Weiße Haus hatte den Überfall auf das US-Konsulat verurteilt, sich aber gleichzeitig auch von den Mohammed-Beleidigungen distanziert.  Eigentlich  ein normaler Vorgang. Religiöse Toleranz gehört genauso wie das Recht auf freie Meinungsäußerung zu den amerikanischen Grundwerten.
Der republikanische Konkurrent unterstellt dem Präsidenten trotzdem unamerikanische Sympathien für die Angreifer.  Außenpolitikexperten schütteln den Kopf, hat Obama doch nur versucht in einer aufgeheizten Stimmung beruhigend einzuwirken. Als absoluter Anhänger der Meinungsfreiheit verteidigt er das Recht der Filmemacher, wer auch immer es ist, so ein Video zu produzieren, ergänzt New York Times-Kolumnist Roger Cohen.  Aber es sei genauso wichtig, dass die Vereinigten Staaten  aussprechen, was sie von  solchem Mist halten.

Die Social Networks des Internets haben  den arabischen Frühling gegen die Diktaturen beflügelt. You Tube verbreitet die Auslassungen der kalifornischen Anti-Islam-Hetzer  rund um den Globus. Aber gleichzeitig  beginnt im  Internet auch die innerislamische Diskussion, ob drittklassige Provokationen die Anhänger einer Weltreligion tatsächlich verletzen können.