Nepal: Versorgungskrise vor Wintereinbruch, MoJ, 26.10.2015

Mehr als sechs Monate ist es her,  da erschütterte das schwerste Erdbeben seit Jahrzehnten den Himalayastaat Nepal. Es gab tausende Tote und der Wiederaufbau gestaltet sich ausnehmend schwierig. Zu den gesellschaftlichen Problemen in einem der ärmsten Länder Asiens kommt jetzt auch eine gefährliche Treibstoffknappheit, weil die Zufahrtsstraßen nach Indien von einer prostierenden Minderheit blockiert werden.

  Die Temperaturen in Nepals Hauptstadt Katmandu fallen.  Aber die Heizungen sind kalt und viele Restaurants haben kein Gas  um zu kochen. Wenn eine Tankstelle ausnahmsweise ihre Tore öffnet, bilden sich sofort ange Schlangen. Denn ganz Nepal geht der Treibstoff aus, ausgerechnet  zu Beginn des Winters.

  Benzin, Heizöl und Gas bezieht der Himalayastaat fast ausschließlich aus Indien. Und die Straßen zum südlichen Nachbarn sind seit Wochen kaum passierbar.  In der Grenzregion leben zwei nationale Minderheiten, die durch Straßenblockaden gegen die Zentralregierung in Kathmandu protestieren.  Indien, der große Nachbar Nepals,  sympathisiert mit den Demonstranten und schickt keine Tankwagen mehr auf die lange Reise in den Norden.

  Ein halbes Jahr nach dem verheerenden Erdbeben mit 9000 Toten stockt auch der Wiederaufbau, weil Lastwägen mit Baumaterial nicht weiterkommen.

  Die Versorgungskrise Nepals ist eine Folge der zerklüfteten politischen Landschaft des Landes. Dabei gab es  in den Wochen nach dem Erdbeben letztes Frühjahr  Bewegung in der nepalesischen Politik. Nach jahrelanger Blockade einigten sich die zerstrittenen Parteien, Maoisten, Sozialisten und Monarchisten, auf eine neue Verfassung.  Das neue Grundgesetz ist ein Neuanfang nach dem  Ende der Monarchie und einem  langen Bürgerkrieg. Nepal soll in Zukunft aus 7 Provinzen bestehen, in denen jeweils unterschiedliche Volksgruppen das Sagen haben. Es gibt mehr als ein Dutzend Nationalitäten im Land, die sich zum Teil scharf voneinander abgrenzen, viele  haben ein eigenes Kastensystem.

   In Südnepal klagen die  Minderheitsvölker  der Tharu und Madhesi, dass es für sie keine eigene Provinz gibt.  Es kam zu   Protesten und blutigen Zusammenstöße gegen die Verfassung. Das Parlament in  Kathmandu hat das neue Grundgesetz trotzdem verabschiedet. Die Hoffnung, dass  Nepals Politik nach einem jahrelangen Bürgerkrieg jetzt endlich in ruhigere Bahnen kommt, könnte sich aber als trügerisch erweisen.

  Die Blockade der Zufahrtsstraßen aus Indien beeinträchtigt auch den Tourismus, den Nepal dringend braucht. Die Hotels sind leer, denn die Reiseveranstalter tun sich schwer, Transportmittel aufzustellen.

  Die nepalesische Regierung setzt auf Treibstoff aus China, weil Indien ausfällt. Aber die Tankwagen aus China müssen vom tibetischen Hochland über den Himalaya nach Kathmandu gelangen. Und die Straßen in der Gebirgsregion sind vom Erdbeben besonders schwer getroffen worden.