Krieg, Krise und Hunger in Syrien

Die Pandemie hat den syrischen Bürgerkrieg in den Hintergrund gedrängt. Im Land selbst verändern sich die militärischen Fronten nur wenig. Das Regime Bashar al Assads hat den Krieg gewonnen. Seit gut drei Monaten finden am Boden keine großen Schlachten mehr statt, konstatiert der Sondergesandte der Vereinten Nationen Geir O. Pedersen. Die UNO prangert Luftangriffe gegen Schulen, Märkte und andere zivile Ziele in der letzten Rebellenhochburg Idlib im Nordwesten des Landes an. Aber der befürchtete Generalangriff ist ausgeblieben. Möglicherweise haben sich Russland und die Türkei, die Schutzmächte der Kontrahenten, im Hintergrund auf einen Waffenstillstand verständigt.
Auf neun Jahre militärischer Auseinandersetzungen folgt in Syrien eine Wirtschaftskrise. Die Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind dramatisch. In weiten Teilen des Landes ist die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten zusammengebrochen. Das World Food Programm der Vereinten Nationen warnt, dass Hunger um sich greift. Es ist eine paradoxe Situation: die Kämpfe sind zwar abgeflaut, aber die Not der Menschen wächst.
Die humanitäre Notlage wird als Druckmittel im geopolitischen Kampf um Macht und Einfluss eingesetzt. Russland hat im UNO-Sicherheitsrat per Veto gemeinsam mit China durchgesetzt, dass die geschützten Hilfslieferungen aus der Türkei reduziert werden, weil die Konvois ohne Kontrolle durch die Regierung in Damaskus unterwegs sind. Umgekehrt verschärfen die USA die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien. Händler aus dem Golf oder aus Europa, die Geschäfte in Syrien machen wollen, müssen damit rechnen in Amerika auf schwarze Listen zu kommen. Die syrische Lira ist abgestürzt, die Lebensmittelpreise schnellen in die Höhe. Die auch in Österreich von einigen Politikern verbreitete Behauptung, dass syrische Flüchtlinge demnächst wieder in die alte Heimat zurückkehren werden, ist realitätsfremd.
Die verheerende Verschlechterung der Wirtschaftslage hat zu einem Zerwürfnis innerhalb des regierenden Clans geführt. Präsident Assad gehört der Volksgruppe der Alewiten an. Die Alewiten sind eine religiöse Minderheit, die zur schiitischen Richtung des Islam gehören. Sie besetzen die wichtigsten militärischen Führungspositionen des Landes. Assad hatte den Staat unter Kontrolle. Assad Cousin Rami Makhlouf machte die großen Geschäfte. Makhlouf ist der reichste Mann Syriens. Ein Milliardär in einem Land, das im Human Development Index der UNO von 189 Staaten auf Platz 154 steht. Die Arbeitsteilung eines Herrscherclans ist nicht ungewöhnlich in autoritären Systemen. Diesen Sommer kommt es zum Bruch. Assad lässt die syrische Telekom verstaatlichen, das wichtigste Unternehmen des Cousins. Makhlouf ist über die Enteignung wütend und beschwert sich auf Facebook über die Willkür der Staatssicherheit. Die Syrer kommen aus dem Staunen nicht heraus. Einen derartigen offenen Streit hat es in der obersten Führungsriege noch nie gegeben.
Für die internen Gegensätze der im Krieg erfolgreichen Clique interessiert man sich auch in Moskau. Putin hat das syrische Regime durch den Einsatz von russischen Kampfflugzeugen und einigen tausend Militärs gerettet. Aber Assad will keine russische Marionette sein. Als Gegengewicht zur den brüderlichen Helfern aus Moskau hofiert er die Revolutionsgardisten aus dem Iran. Assads Nähe zur Islamischen Republik ist Moskau nicht geheuer. In regierungsnahen russischen Medien kommen auffällig oft Assad-kritische Stimmen zu Wort. Ein Name war früher auch in Österreich bekannt: Firas Tlass, der im russischen Fernsehen gegen Assad auftritt, ist der Sohn des langjährigen syrischen Verteidigungsministers Mustafa Tlass, der mit Bruno Kreiskys erstem Verteidigungsminister Lütgendorf illegale Waffengeschäfte gemacht hat.
Unter der Ägide der Vereinten Nationen gab es in Genf Verhandlungen über eine Verständigung zwischen dem syrischem Regime und verschiedenen Rebellenorganisationen. Parallel versuchte Russland auszuloten, wie eine Nachkriegsordnung aussehen könnte. Seit Ende 2019 sind diese Bemühungen zum Erliegen gekommen. Verantwortlich ist die Weltpolitik, in der Kompromisse zwischen den Mächten immer schwieriger werden. Den Preis zahlen Syriens Bürger mit Hunger in der Schlussphase des Krieges.
Die Flüchtlinge in den Nachbarstaaten und in Europa werden noch lange Hilfe brauchen. Je mehr Syrer die Chance zu einer zweiten Heimat im Aufnahmeland bekommen, desto besser wäre das für die Betroffenen, für die Aufnahmeländer und sogar für Syrien selbst. Irgendwann in Zukunft könnte eine erfolgreiche syrische Diaspora dem Land beim Wiederaufbau unter die Arme greifen .

ZUSATZINFOS
500 000 Tote hat der Krieg in Syrien seit 2011 gefordert. 6,6 Millionen der 18 Millionen Syrer sind ins Ausland geflohen, sechs Millionen sind Inlandsflüchtlinge. 9,3 Millionen Menschen innerhalb des Landes brauchen internationale Hilfe um zu überleben.

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