EU-Gipfel zu Ukraine und Topjobs, MiJ, 30.8.2014

Herr Löw, wird das heute offiziell die immer wieder angedrohte Stufe drei auf der dreiteiligen Sanktionenskala ? Kommen jetzt Sanktionen, die aber letztlich auf beiden Seiten ordentlich wehtun werden ?

Mittelfristig ist das möglich, wenn diese verdeckte russische Invasion der Ukraine weitergeht. Aber ein  spektakulärer neuer Sanktionsbeschluss heute schon ist nicht zu erwarten.

Sanktionen sind ja bisher auch nicht überstürzt gefällt worden, da hat es immer eine lange Vorbereitungszeit gegeben. Es wurde abgewogen, wie sich die einzelnen Maßnahmen auf die verschiedenen EU-Staaten selbst auswirken.

Es tagen ja parallel zum Gipfel in Brüssel auch die EU-Außenminister in Mailand. Dort ist nur sehr allgemein von politischen Signalen in Richtung Moskau  die Rede.

Aber was es schon geben kann ist  eher  ein politischer Anstoß  die außenpolitische Maschinerie der EU weiter in Richtung Sanktionen zu bewegen.

Die Zeiten des unbeschwerten Geschäftemachens mit Russland sind auf jeden Fall  vorbei.

Die Ukraine ist wegen der neuerdings immer stärkeren russischen Rüstungshilfe an die Separatisten im Osten schwer unter Druck, unser Korrespondent Christian Wehrschütz hat uns am Vormittag berichtet, er halte die ukrainische Gegenoffensive für absolut gescheitert mittlerweile. Kann die EU da überhaupt noch etwas retten, wie kann und will sie noch wirksam unterstützen ?

Niemand wird Kiew militärisch zu Hilfe kommen, die Europäer nicht, auch die USA nicht. Kein westliches Land denkt  daran, Putin in der Ukraine militärisch entgegenzutreten. Vergessen wir nicht, Russland ist die zweitgrößte Atommacht der Erde, eine Entwicklung in Richtung militärische Konfrontation wäre ein schreckliches Szenario.

Daher hat der Westen nur wirtschaftliche und politische Druckmittel, die wirken langfristig.  Daher ist Putin kurzfristig im Vorteil, wenn er diesen schleichenden Krieg gegen das Nachbarland Ukraine fortführen will.

Was Poroschenko will, ist  mehr  Finanzhilfe durch die Europäer. Auch im Fall, dass es diesen Winter Probleme mit den Gaslieferungen aus Russland geben wird.

Und die ukrainische Regierung will Waffen aus EU-Staaten für die ukrainischen Streitkräfte. Es fehlt an ganz elementaren Dingen wie Helmen, heißt es im Verteidigungsministerium in Kiew. Sowie an Kommunikationstechnologie. Diese Bitte ist ein viel schwierigerer Brocken für die Europäer, aber die Logische Folge, wenn das Land vom Nachbarn angegriffen wird, wie jetzt die Einschätzung der Lage lautet.

Wenn wir in unseren Überlegungen von „die EU“ sprechen, dann stimmt das nicht mehr so ganz, denn es gibt in der Ukraine-Krise einerseits die EU, die nach Sanktionen ruft und die andere EU, mit Ungarn zum Beispiel, die meint, man solle auf Russland diplomatisch zugehen. Kann da eine Einigung gelingen ?

Die Einigung ist schwierig, bei so vielen unterschiedlichen  Interessen. Aber sie ist  möglich. Da haben es die  Europäer immer wieder geschafft ihre unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen hinanzu stellen, um gemeinsame Außenpolitik gegenüber Russland zu machen. Das war ein großer Schritt nach vorne gegenüber früher.

Jetzt sind die  Europäer dabei sich auf eine  längere Phase der Konfrontation mit Russland einstellen. Das hat sich vielleicht nicht in allen Hauptstädten herumgesprochen, ist aber die Schlussfolgerung aus den letzten Monaten.

Trotz aller Telefonate und diplomatischen Bemühungen hat man jetzt genau die Situation, die man geglaubt hat vermeiden zu können: nach dem Einmarsch in die Krim ein blutiger Stellvertreterkrieg um die Osturkaine, der von Moskau geführt wird. Wladimir Putin spricht von Neurussland, wenn er die Ostukraine meint.

Dass der russische Präsident diesen Begriff gestern wieder benützt hat, hat in Berlin und Paris ziemlich schockiert. Es heisst ja, dass da imperiale Ansprüche geltend gemacht werden, und dass Putin die gnze Staatenwelt, die nach dem Zerfall der Sowjetunion in Frage entstanden ist, in Frage stellt.

Man hat das vor mehr als 20 Jahren auch im ehemaligen Jugoslawien gehabt, wo der serbischen  Präsident Milosevic mit  historischen Bezügen einen Nationalismus geschürt hat, der zum Krieg  geführt hat. Das ist heute der Alptraum der Europäer: dass Putin eine Art Milosevic werden könnte. Aber eben ein Milosevic mit Atombomben.

 

Herr Löw: Das Gipfelprogramm heute ist ja mehr als gedrängt wegen des aktuellen Ukraine-Handlungsbedarfs. Bleibt überhaupt noch Problemlösungskapazität für die Personalentscheidungen, im Ratsvorsitz und im Außenpolitikressort ?

Bei den Topjobs hat es in den letzten Tagen ziemliche Bewegung gegeben. Wenn die Staats- und Regierungschefs heute Nachmittag zu ihrem Sondergipfel zusammen kommen, gibt es klare Favoriten: Federica Mogherini,die junge italienische Außenministerin, hat die besten Chancen auf die Position der Außenpolitikchefin der EU.  Mogherini wird von den europäischen Sozialdemokraten gepuscht. Im Gegenzug könnte Donald Tusk, der liberal-konservative polnische Regierungschef  Präsident des Europäischen Rates werden, also der Vorsitzende bei den EU-Gipfeln.

Tusk scheint noch nicht ganz so sicher zu sein, wie Mogherini. Nach wie vor genannt wird auch die sozialdemokratische dänische Regierungschefin Hella Thorning-Schmidt.  Aber ein Vertreter eines neuen Mitgliedslandes muss in die erste Reihe in der EU.  Polen hat sich sehr stark zur Unterstützung der Ukraine engagiert. Die Wahl Tusks wäre auch ein Signal in Richtung Moskau, dass die Europäer   sich nicht auseinanderdividieren lassen durch einen aggressiven russischen Nationalismus.

Auch Österreichs Kanzler Faymann, der ja zur Zeit an  einer sozialdemokratischen Vorbesprechung bei Präsident Hollande im Elysee in Paris teilnimmt, sieht eine solche Doppelspitze Tusk-Mogherine, der liberal-konservative Pole und die sozialdemokratische Italienerin,positiv.

Italien steht ja für eine eher weiche Linie gegenüber Russland, Polen für eine harte Linie, da hätte man dann in Brüssel durch diese beiden Persönlichkeiten schon die unterschiedlichen Haltungen in Europa vertreten.  Und man kann ausloten, wie man zu einer gemeinsamen Haltung kommen kann.