Die Sprengkraft der russische Bomben auf Syrien für die EU

Beim Kampf um Aleppo treffen alle Widersprüche der internationalen Lage aufeinander. Der syrische Krieg, der mit der Niederschlagung friedlicher Demonstrationen durch Regierungstruppen seinen Anfang nahm, ist zum Kristallisationspunkt eines Kräftemessens zwischen Russland, den USA und Europa geworden.
Russland ist in der Offensive. Putins Luftkrieg hat die militärische Situation radikal verändert. Noch vor einem Jahr stand das Regime in Damaskus vor dem Zusammenbruch. Nach dem russischen Bombardement sind Assad-loyale Einheiten dabei, die Oppositionshochburg Aleppo einzukesseln. Dank der ausländischen Unterstützung Assads durch Russland, den Iran und die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah, droht der Opposition eine schwere Niederlage.
Barack Obama lehnt ein stärkeres Eingreifen der USA in Syrien ab. Die halbherzige Aufrüstung der Rebellen durch den Westen konnte mit dem Engagement Russlands nicht mithalten. Putin stößt mit seinem Krieg für Assad in ein von den USA gelassenes Vakuum. Die amerikanische Zurückhaltung im folgenschwersten Konflikt des 21.Jahrhunderts zeigt den langsamen Rückzug der Supermacht aus dem Nahen Ostens.
Ähnlich wie zur Ukraine läuft in Europa die Diskussion, was Moskau wirklich bezweckt. Reicht es Putin, als Partner anerkannt zu werden, um Kompromisse zu akzeptieren? Oder sind Waffenstillstandsverhandlungen nur Zwischenphasen im revanchistischen Feldzug, der Russland wieder zur imperialen Macht machen soll?
In der Ukraine ist nach der Eroberung der Krim an die Stelle eines offenen Krieges gegen Kiew ein Kleinkrieg auf niedriger Ebene geworden. Die internationalen Beobachter können nicht einmal die Drohnen einsetzen, mit denen sie die Lage beobachten sollen.
Für Syrien wäre schon ein labiler Waffenstillstand eine ersehnte Atempause. Eine politische Verständigung, wie das bei den Verhandlungen in Wien und Genf vorgezeichnet wurde, ist damit noch lange nicht erreicht. Assad will einen Sieg-Frieden.
Militärisch haben Europäer und Amerikaner dem russischen Vorpreschen in der Ukraine und in Syrien nichts entgegen gesetzt. Europa hat sich zu wirtschaftlichen Maßnahmen durchgerungen, um Putin zu bremsen. Wirtschaftliche Depression ist der Preis, den Russland für die militärischen Abenteuer zahlt. Ob die Sanktionen weiter wirken, hängt von Europa ab.
Die EU gefügig zu machen, ist für Moskau wichtiger als die Konfrontation mit den USA. Daher empfängt Putin den Merkel-Kontrahenten Seehofer und lässt die Rechtsaußenparteien des Kontinents finanziell unterstützen. Gegenüber einem zersplitterten Europa hätte Moskau es leichter, seine geopolitischen Ambitionen durchzusetzen.
Angela Merkel ist die Schlüsselfigur in dem riskanten Spiel. Die deutsche Kanzlerin ist Putins wichtigste Kontrahentin. Eine Kapitulation vor dem russischen Vorstoß gegen die Ukraine hat sie verhindert. Mit aller Macht stemmt sie sich gegen die Renationalisierung der EU, verlangt eine europäische Flüchtlingspolitik. Aber je länger die Fluchtbewegung anhält, desto schwieriger wird ihre Position.
Will Putin mit dem Luftkrieg gegen Aleppo Angela Merkel stürzen, weil Deutschland durch eine neue Fluchtbewegung überfordert wäre? Die Frage wird in Berlin und Brüssel ernsthaft diskutiert.
Ein militärischer Sieg der Koalition um Assad in Syrien, ähnlich wie einst für Putin in der Krim, ist ausgeschlossen. Die Ressourcen des sunnitischen Lagers auf der Seite der Aufständischen sind noch lange nicht erschöpft. Saudi-Arabien erwägt die Lieferung von Boden-Luftraketen an die syrischen Rebellen um die russische Überlegenheit in der Luft zu brechen. Weitere lange Jahre des Krieges wäre ein Alptraumszenario für die ganze Region.
In Europa gibt es viele Ideen, welche diplomatischen Kompromisse man anbieten sollte und wie Flüchtlinge aufgeteilt werden könnten. Bisher fehlt der Wille, diese Vorschläge auch umzusetzen. Die Wirtschaftssanktionen, die das einzige Druckmittel gegenüber Russland sind, laufen noch bis in den Sommer.
Im jüngsten Waffenstillstandsplan, den die USA und Russland vorgestellt haben, ist humanitäre Unterstützung für Syrien vorgesehen. Europäische Hilfskonvois auf der Straße oder aus der Luft in eingeschlossene Siedlungen könnten die Reputation der Europäer wieder herstellen. Sie wären ein Neuanfang für die EU in der Region. Wenn die Flüchtlinge aus Aleppo spüren, dass sie nicht alleine gelassen werden, würde das für die Fluchtbewegung nach Europa auf jeden Fall mehr bewirken, als Grenzzäune in Mazedonien und NATO-Schiffe in der Ägäis.