US-Wahlkampf nach der Konfrontation der Vizepräsidentschaftskandidaten – Notizen

Es ist der ungewöhnlichste Wahlkampf, den Amerika seit langem erlebt hat. Das war auch an der Debatte zwischen den Vizepräsidentschaftskandidaten zu sehen, die wegen Corona mit großer Distanz und sogar einer Plexiglaswand zwischen den Diskutanten stattfand. Man sagt normalerweise, dass die Vizepräsidentschaftskandidaten nicht überragend wichtig sind. Ist das diesmal wirklich so anders, wie das behauptet wird, weil ja die beiden Chefs weit über 70 sind und im Krisenfall die Vizepräsidenten einspringen würden?
Wahlentscheidend sind die Vizepräsidentschaftskandidaten auch diesmal nicht. Die Alternative ist Trump oder Biden. Die ganze Wahl ist ja in Wirklichkeit in Referendum über Trump. Aber das Interesse für die Debatte heute Nacht ungewöhnlich groß. Viele hatten das Gefühl, da diskutieren mögliche zukünftige amerikanische Präsidenten, nicht nur Vizepräsidentschaftskandidaten.
Man wollte auch sehen, ob in Amerika Spitzenpolitiker überhaupt noch zivilisiert diskutiert können, nach dem Chaos bei Trump gegen Biden letzte Woche. Kamala Harris und Mike Pence haben dann auch beinhart, aber fair diskutiert.
Die beiden Vizes verkörpern die zwei Welten in Amerika, die einander bei diesen Präsidentschaftswahlen gegenüberstehen. Pence ist ein ultrakonservativer Politiker aus dem Bundesstaat Indiana, in der die meisten Bürger weiß sind, es gibt wenig Schwarze und wenig Latinos. Trumps Vizepräsident ist ein evangelikaler Politiker, der gegen Abtreibung auftritt und von christlichen Fundamentalisten unterstützt wird. Trump verkörpert das weiße, konservative, sehr christliche Amerika, das sich durch die neue Zeit bedroht fühlt.
Dagegen steht Kamala Harris, als afroamerikanische Politikerin aus Kalifornien, mit einer Mutter aus Indien und einem Vater aus Jamaika. Eine Frau mit Migrationshintergrund, wie man bei uns sagen würde. Und die sich mit den Black Lives Matter Demonstrationen solidarisiert hat. Sie könnte einmal Präsidentin werden.
Joe Biden wird im November 78 und er hat klargestellt, dass er sich als Übergangspräsident fühlen wird, wenn er gewinnt. Kamala Harris repräsentiert die nächste Generation bei den Demokraten.
In der Konfrontation mit Mike Pence war sie angriffig, das muss sich auch sein als Herausforderin, aber sie wirkte nicht unsympathisch. Hillary Clinton hat ihr vorher dringend empfohlen, nicht aggressiv aufzutreten, weil dadurch die Vorurteile gegen Frauen und gegen schwarze Frauen geschürt werden. Ausgehend von der Pandemie hat sie den Bogen zur Gesundheitspolitik, zur Klimapolitik und sogar zur Außenpolitik gezogen und die Alternativen der Demokraten thematisiert.
Mike Pence hat gezeigt, dass ultrakonservative Politik in den USA auch ohne die Beleidigungen und die Willkür möglich ist, die Trumps Markenzeichen sind: Steuern herunter, das Ende des Rechts auf Abtreibung, militärische Aufrüstung
Die Schlagzeilen beherrscht auf jeden Fall Donald Trump. Nach seiner Infektion mit Covid 19 sehen die Amerikaner jeden Tag und manchmal sogar stündlich neue Inszenierungen des Präsidenten, bei denen sich immer alles um ihn, Trump, allein dreht. Lässt sich aus den Informationen, die wir haben, ernsthaft beurteilen wie gesund oder wie krank der Präsident wirklich ist? Es hat ja auch die Vermutungen gegeben, dass die ganze Erkrankung ein PR-gag war.
Es hat solche Spekulation vom ersten Moment an gegeben, als bekannt war, dass Trump sich angesteckt hat. Aber dass er die Krankheit nur vorgetäuscht hat ist ausgeschlossen. An einer solchen Verschwörung hätten Dutzende, wahrscheinlich hunderte Personen beteiligt sein müssen, Ärzte, Mitarbeiter, Personal, Politiker. Es gibt ja einen richtige Infektionscluster im Weißen Haus. Nicht nur der Präsident, dutzende Personen sind angesteckt werden. Einen derart großen Cluster unbemerkt von der Presse nur vorzuspielen, das ist ausgeschlossen. Dass diese Verschwörungstheorien so weit verbreitet waren zeigt, was man dem Weißen Haus unter Trump alles zutraut.
Wie es dem Präsidenten wirklich geht? Das ist im Detail nicht zu sagen, die Informationen der Ärzte sind vage, oft widersprüchlich und oft beschönigend. Klar ist: so krank, wie Boris Johnson, der britische Premier, der vor einem halben Jahr an Covid 19 erkrankt war, ist Trump nicht gewesen. Johnson musste ja einige Tage auf die Intensivstation. Ganz überwunden hat Trump die Krankheit aber sicher noch nicht.
Journalisten berichten, dass der Westflügel des Weißen Hauses, wo die Amtsräume des Präsidenten liegen, halb leer ist, weil so viele Mitarbeiter erkrankt sind oder vom Home office arbeiten. Die amerikanischen Zeitungen führen genau Buch, welcher Redenschreiber oder welche Pressesprecherin genau seit wann erkrankt ist. Dahinter steht ein anderes Verständnis von Transparenz als in Europa, wo solche persönliche Informationen nicht veröffentlicht werden.
Nach der Debatte zwischen den Vizepräsidentschaftskandidaten letzte Nacht stehen zwei weitere Konfrontationen der Präsidentschaftskandidaten bevor, die nächste bereits kommende Woche in Miami. Wird es diese Konfrontationen geben und wie läuft überhaupt der Wahlkampf unter den Bedingungen von Corona?
Der Wahlkampf ist ja vor allem eine Materialschlacht, die sich im Fernsehen und im Internet abspielt. Mit Werbeclips für die eigenen und gegen die konkurrierenden Kandidaten. Diese Clips und Videos sind längst produziert, sie werden eingesetzt. Von den Inhalten ändert sich natürlich einiges. Weil der gesamte Wahlkampf jetzt von Corona und vom Umgang der Regierung mit der Pandemie überschattet wird. Die Demokraten werfen Trump vor, dass er mit dem kuriosem Kampf gegen das Maskentragen unverantwortlich agiert. Sie sehen die mehr als 200 000 Corona-Toten in den USA als Beweis für das unverantwortliche Vorgehen der Administration an..
Ob und wie die nächsten TV-Konfrontationen ablaufen werden ist völlig unklar. Biden hat gesagt, dass eine traditionelle Diskussion nicht möglich ist, wenn Trump ansteckend ist. Es sollte ja auch nächste Woche ein Town Hall Meeting in Miami werden, mit Publikum. Die überparteiliche Kommission für die TV-Konfrontationen hat beschlossen, dass die für nächste Woche angesetzte Debatte als virtuelle Diskussion geführt werden soll. Darauf hat Trump seine Teilnahme abgesagt. Verhandlungen, wie es weitergehen soll, laufen.
Die Meinungsumfragen sagen alle eine deutliche Mehrheit für Joe Biden voraus. Aber man erinnert sich, dass die Demoskopen auch schon vor vier Jahren völlig daneben gelegen sind und einen sicheren Sieg für Hillary Clinton vorausgesagt haben, den es dann bekanntlich nicht gegeben hat. Kann das Machogehabe Trumps rund um seine Erkrankung ihm nicht doch nützen?
Die republikanischen Strategen können nur auf eine Trendwende setzen, weil Trump so stark im Rückstand ist. Es hat seinerzeit auch bei Boris Johnson, dem britischen Premier, nach der Erkrankung einen Anstieg seiner Sympathiewerte gegeben. Die haben allerdings nicht sehr lange angehalten, was für Trump wahrscheinlich reichen würde, weil ja schon in vier Wochen gewählt wird.
Nur: die meisten Meinungsumfragen sehen keine statistisch messbare Zunahme der Zustimmung für Trump. Viele Umfragen besagen ganz im Gegenteil, dass sich der Vorsprung Bidens verstärkt hat. Allerdings: vor vier Jahren haben die Demoskopen einen Sieg für Hillary Clinton vorausgesagt, zu dem es bekanntlich dann nicht gekommen ist.
Der politische Unterschied zu damals: 2016 hatte Trump eine hochmotivierte Anhängerschaft hinter sich, er hat auch Wechselwähler mitgerissen, während Hillary Clinton bei den Demokraten umstritten war. Diesmal ist die Zustimmung zu Trump auf seine Fans beschränkt, viele Wechselwähler sind durch seine unberechenbare Art verstört.
Politisch geht es bei diesen Präsidentschaftswahlen um die Person des Präsidenten, um den demagogischen Stil Trumps und um seine autoritären und nationalistischen Vorstellungen von Amerika. Die meisten Amerikaner haben bereits entschieden, wem sie ihre Stimme geben. Viel Spielraum aufzuholen hat Donald Trump nicht mehr.

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