Hungerstreik in Guantanamo: warum Europa Obama helfen soll

  Hungerstreiks gibt es in Guantanamo  seit den Anfängen des Lagers. Ausländischen Reportern zeigte man  vor Jahren noch ungerührt den Stuhl, an dem der Kommandant  Hungernde  zur künstlichen Ernährung festschnallen ließ.

  Aus dem periodischen aufflammenden Protest ist jetzt die größte Widerstandsaktion  geworden. Mehr als die Hälfte der verbliebenen 166 Gefangenen verweigern seit Anfang Februar die Nahrungsaufnahme. Mehrere Dutzend werden zwangsernährt. Es kann jeden Tag die ersten Toten geben. Mit unabsehbaren Folgen in der islamischen Welt.

  Das wichtigste Symbol der Exzesse des Antiterrorkrieges ist schlagartig wieder ins Zentrum gerückt.

   Mit einem Gefängnis außerhalb des Territoriums der USA wollte die Regierung Bush die rechtsstaatlichen Regeln im Antiterrorkampf außer Kraft setzen.   Wiederholt widersprach das Oberste Gericht.   Barack Obama unterzeichnete das Dekret zur  Schließung  Guantanamos in den ersten  Tagen seiner Präsidentschaft.  Aber der Kongress sagte Nein. Passiert ist nichts.

  Dass seit Monaten ein  Kriegsverbrecherprozess gegen  Khalid Scheich Mohammed, den angeblichen Architekten von 9/11, und drei Mitangeklagte läuft, bekommt die Öffentlichkeit kaum mit.  

  Das Pentagon gibt inzwischen offen zu: ein großer Teil der Gefangenen, genau  86,  sind weder irgendeines Verbrechens angeklagt, noch stellen sie für die USA eine Gefahr dar.  Sie waren das  Opfer einer Verwechslung oder dunkler Machenschaften zwischen afghanischen Clans und dem CIA.  Die meisten sollten längst frei sein.   Aber die Repatriierung wurde abgebrochen, als ein im Jemen ausgebildeter Attentäter versuchte mit Sprengstoff in der Unterwäsche ein Flugzeug zum Absturz zu bringen.

  Die meisten Hungerstreikenden sind Jemeniten.  Der verzweifelte Aufruf, den  Samir Naji al Hasan Moqbel, einer der protestierenden Häftlinge, seinem Anwalt über Telefon übermittelte, schaffte es unter dem Titel „Gitmo Is Killing Me“ sogar in die New York Times: „Der einzige Grund, warum ich noch hier bin, ist die Weigerung Präsident Obamas Gefangene zurück in den Yemen zu schicken.“

  Barack Obama verspricht, er wird einen neuen Anlauf  beim Kongress nehmen, um das Lager zu schließen. Juristen amerikanischer  Menschenrechtsorganisationen sagen, der Präsident hätte längst alle nötigen Vollmachten. Aber Obama scheut den politischen Preis, denn die Öffentlichkeit lehnt  Gnade für Terroristen ab.

    Nach 11 Jahren gibt es nicht mehr viele Möglichkeiten. Vom Krieg gegen den Terror spricht man in Washington schon lange nicht mehr. Ein Kriegsgefangenenlager für einen nicht existierenden Krieg ist absurd. Verdächtige, die mit  Aktionen des globalen Terrors zu tun haben, gehören vor ein ordentliches Gericht.  Allen anderen Insassen muss der Weg in die Freiheit geebnet werden.

  Dabei gibt es Risiken. Mehrere freigelassene Guantanamo-Häftlinge waren später wieder  in Anschläge verwickelt. Wie ein regulärer Prozess gegen Al Kaida-Führer ausgehen wird, die durch Waterboarding und andere Foltermethoden  zu Geständnissen gebracht wurden, ist unklar.

  Aber gerade in der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Strömungen des arabischen Frühlings ist Guantanamo ein Geschwür, das beseitigt werden muss.

  Den sogenannten Krieg gegen den Terror hat George W.Bush nicht alleine geführt. Halb Europa war beteiligt. Geheimgefängnisse des CIA gab es in Polen und Rumänien. Illegale Gefangenentransporte liefen über  deutsche Flughäfen und österreichischen Luftraum. Alle  Regierungen haben gezielt weggeschaut.

  Bei seinem ersten Anlauf Guantanamo zu schließen setzte Barack Obama auf Mithilfe der Europäer. Gesandte des US-State Departments fühlten sogar im Außenministerium in Wien vor, ob nicht auch Österreich  einen als ungefährlich eingestuften Häftling übernehmen könnte. Belgien, Großbritannien und Irland sagten  ja. Probleme mit Ex-Häftlingen aus Guantanamo sind keine bekannt. Das offizielle Österreich winkte voller Entsetzen schon bei den allerersten Kontakten  ab.

  Klar: die Trümmer der vergangenen Antiterrorpolitik müssen vor allem die USA aufräumen. Aber die Europäer könnten sich  beteiligen. Ein Angebot der Europäischen Union, dass Menschen, die unschuldig in  Guantanamo festgehalten wurden, in Europa Asyl erhalten, würde es Barack Obamas  leichter machen, das Lager endlich zuzusperren.

  Reiner Altruismus wäre das keiner. Guantanamo ist  die beste Propaganda für antiwestliche Extremisten.  Damit Schluss zu machen ist das gemeinsame Interesse von Amerikanern und Europäern.