Ferguson und die kriminalisierte schwarze US-Unterschicht, 27.8.2014

Ferguson, der Suburb im Bundesstaat Missouri, der Amerika zur Gewissenserforschung über Polizeigewalt und Rassismus zwingt, wirkt auf den ersten Blick wie ein Anachronismus. Schwarze Jugendliche, die sich  Straßenschlachten mit der Polizei liefern, hat es in den USA lange nicht mehr gegeben. Symbol der Proteste sind die hoch erhobenen Hände, so wurde der 18 jährige Michael Brown nach Aussagen seines Freundes am 9.August  von  Officer Darren Wilson erschossen.  In einer Stadt, in der zwei Drittel der Bevölkerung schwarz sind, gibt es unter den 53 Polizisten nur drei Afro-Amerikaner. Auch der Bürgermeister von Ferguson ist weiß, genauso mit einer Ausnahme  alle Gemeinderäte.

Derart krasse Missverhältnisse haben  Städte und Gemeinden in den USA zumeist längst überwunden. Sie waren für die Zeit  vor der Bürgerrechtsbewegung der Neunzehnsechzigerjahre  typisch. Während in den Südstaaten Schwarze und Weiße  mit Martin Luther King  gegen die Rassensegregation marschierten, erschütterten  Revolten gegen die weiße Polizeigewalt  die Metropolen des Nordens.  Zuletzt löste 1992  in Los Angeles der Freispruch weißer Polizisten, die den Afro-Amerikaner Rodney King vor laufender Kamera fast tot geprügelt haben,  Unruhen mit Plünderungen und Brandlegungen aus. Es gab Dutzende Tote.

Schwarze Bürgermeister sind inzwischen keine  Besonderheit mehr.  Dass die USA mit Barack Obama zwei Mal einen schwarzen Präsidenten gewählt haben, zeugt von den dramatischen Veränderungen. Rassistische Vorurteile sind in den USA nicht verschwunden. Aber sie bestimmen  nicht mehr das gesellschaftliche Leben. Auch die Zusammensetzung der Polizei hat sich nahezu überall  gedreht. In Detroit oder Washington DC sind über 60 Prozent der Beamten schwarz. Eine ethnisch gemischte Exekutive ist die Regel.

Aber unverändert scharf  ist das  Spannungsverhältnis  zwischen afro-amerikanischen Jugendlichen  und der Polizei, das oft zur Feindschaft wird.  Junge schwarze Männer gelten jeder Polizeistreife  als potentielle Verbrecher. Kaum ein schwarzer Amerikaner, der nicht selbst von Erfahrungen mit  Polizeiwillkür zu berichten weiß.  Eric Holder, Obamas Justizminister, erzählt, dass er im Washingtoner  Promiviertel Georgetown einmal festgenommen wurde, nur weil er gelaufen ist. Der in DC häufig schwarz-weiß gemischt besetzten Polizeistreife kam das verdächtig vor. Die Beamten vermuteten einen Ladendiebstahl. Dabei wollte der  Spitzenjurist nur rechtzeitig ins Kino.

Der 18jährige Michael Brown in Ferguson war unbewaffnet, als ihn die sechs Schüsse des Polizisten trafen. Die offizielle Version von Notwehr, weil der Teenager dem Beamten die Waffe angeblich  entwenden wollte, wird jetzt gerichtlich untersucht.

Der internationale Vergleich in Sachen Polizeigewalt ist für die USA verheerend:  409 Personen wurden von der amerikanischen Polizei im Jahr 2012 erschossen,  in Deutschland waren es im gleichen Jahr 8 und in Großbritannien, wo die Polizei üblicherweise unbewaffnet ist,  null.

Dass die Exekutive in den USA beim geringsten Anzeichen von Widerspruch oder gar  Widerstand die schärfsten Mittel einsetzt, hat Tradition. Ein Verdächtiger kann selbst schwer bewaffnet sein.   Allerdings täuschen die martialischen Bilder aus Missouri: es gibt in den USA  heute weniger gewaltsame Polizeieinsätze als früher.  Die Kriminalität geht seit Jahren zurück  und das wirkt sich auch auf die umgekehrte Statistik des Schusswaffengebrauchs bei Amtshandlungen aus.

Die schlimmste Zeit waren die 1980erjahre, als Kämpfe zwischen Drogengangs Washington DC zur Mordhauptstadt  machten und eine falsche Straßenseite in New York City lebensgefährlich werden konnte.  Die Polizei führte Ronald Reagans Krieg gegen die Drogen und der spielte sich vor allem in den schwarzen Ghettos  ab. Durch Amerikas Gefängnisse gingen seither Millionen junge Afroamerikaner, in der überwiegenden Mehrheit wegen gewaltfreier Drogendelikte.  An der sinnlosen Kriminalisierung der schwarzen Unterschicht wegen Drogenkonsums hat auch die Politikergeneration nichts geändert, in der viele wie Bill Clinton oder Barack Obama in der Jugend selbst zum Joint gegriffen haben.

Das US-Justizministerium prüft, ob die tödlichen Schüsse der Polizei von Ferguson Michael Browns Bürgerrechte verletzt haben.   Barack Obama will nach dem völlig unverhältnismäßigen Einsatz von Panzerwägen und Scharfschützen gegen Demonstranten den Verkauf von Kriegsmaterial an normale Polizeistellen unterbinden. Es sind sinnvolle Schritte. Genauso wichtig wäre die Legalisierung von Marihuana und anderer verbotener Drogen, um den Teufelskreis von Gewalt, Kriminalisierung und  Polizeiwillkür  in den Armenvierteln der Städte zu durchbrechen.