Ägypten nach der Revolte, 16.2.2011

 

Ägypten nach der Revolte, 16.2.2011

Wie ein Tsunami fegt der Aufstand der Jugend gegen die verkrusteten Diktaturen durch die arabische Welt. Man kann es kaum glauben: keine zwei Monate ist es her, dass der Straßenhändler Mohammed Bouazizi am 17.Dezember 2010 mit seiner Selbstverbrennung gegen die Schikanen der lokalen Polizeimafia in der tunesischen Provinzstadt Sidi Bouzid die Bewegung auslöste. Ein Ende ist auch nach dem Sturz Hosni Mubaraks im Schlüsselland Ägypten nicht in Sicht. Auch wenn die greisenhaften Despoten weniger werden und das Militär sich in den Vordergrund schiebt. Das Showdown zwischen der jungen Bevölkerung, der das Internet und Al Jazeera den Blick hinaus in die Welt ermöglicht, und den anachronistischen Regimes eröffnet eine neue Ära. Während sich die Völker in Lateinamerika und Asien in den Neunzigerjahren immer mehr aus dem Würgegriff der Diktaturen befreien konnten und die Grundlagen zum wirtschaftlichen Aufschwung legten, versank die arabische Welt in Unbeweglichkeit und Korruption. Die nationalistische Welle nach dem Debakel gegen Israel im Sechstageskrieg 1967 hatte flächendeckend in der Sackgasse autoritärer Machthaber geendet. Der Islam mache die Menschen immun gegen den Virus der Demokratie, hieß es selbstgerecht bei den Meinungsmachern des Westens. Jetzt erlebt der arabische Kulturkreis sein 1989. Der Aufstand widerlegt schlagend alle Thesen über den angeblichen Zusammenstoß der Kulturen. Der Philosoph Slavoj Zizek hat recht: die universellen Werte von Freiheit und Gerechtigkeit sind die Triebkräfte der Bewegung. Der Tahrirplatz wurde zu einem weltweiten Symbol der Menschenwürde, nachvollziehbar in Peking, Moskau und Sao Paolo.

So wie in Osteuropa vor 22 Jahren bestimmen demokratische Massenbewegungen die Entwicklung. Keine politische Partei stand hinter den Demonstranten in Kairo, genauso wie bei der samtenen Revolution in Prag oder im Herbst 1989 in Leipzig. Twitter und Facebook ersetzen heute die Mundpropaganda des bröckelnden Ostblocks. Aber ganz so wie damals verbindet sich die Spontaneität der Massen mit großer politischer Klugheit. Die ägyptische Bewegung ließ sich weder durch die Schläger des Regimes einschüchtern noch einlullen durch die Konzessionen des Diktators. Das öffentliche Freitagsgebet auf dem Tahrirplatz erinnerte an die Papstmessen im von der Kommunistischen Partei regierten Polen. Der Umsturz schafft noch keine demokratischen Verhältnissen. Da hatte Osteuropa 1989 auf Grund der riesigen Anziehungskraft Westeuropas einen immensen Vorteil. Jahrelang wurden in Ägypten linke und laizistische Gruppen ganz gewusst ausgemerzt. Das Regime sah es gerne, wenn an den Universitäten die Islamisten aus den Moscheen den Aktivisten der Linken zusetzten. In rasendem Tempo werden sich jetzt Parteien, Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft bilden. Gleichzeitig muss mit den Militärs der Weg zu freien Wahlen und zu einer neuen Verfassung abgetrotzt werden. Einen Titanenaufgabe für die politisch unerfahrene Opposition. Der Streitkräfterat, dem Hosni Mubarak die Macht übergeben hat, ist mit einem „Kommunique Nr.1“ an die Öffentlichkeit getreten. Die düstere Nummerierung erinnert an die Militärjuntas früherer Zeiten.

Dort war das Kräfteverhältnis allerdings völlig anders, die Militärs verkündeten ihre Kommuniques nach blutigen Niederlagen der Linken. Dagegen versuchen sie in Tunesien und Ägypten das System unter den Bedingungen des sprunghaft gestiegenen Selbstbewusstseins der Bürger so weit wie möglich zu retten. Die ägyptische Februarrevolution war extrem rasch erfolgreich. Die Differenzierung wird erst jetzt beginnen, wenn die gesellschaftlichen Gegensätze nicht mehr durch Zensur und Geheimpolizei verdeckt sind. Spannungen mit den auch ökonomisch privilegierten Militärs sind unvermeidlich. Der frühere Geheimdienstchef und oberste Folterer Omar Souleiman an der Spitze des Staates wird bald unerträglich sein. Weil es um die Zukunft der ganzen Region geht, werden die konservativen, Öl reichen Staaten, angeführt von Saudi Arabien, wohl ein Roll back versuchen, um die Uhren wieder zurückzustellen. Entscheidend wird letztlich sein, wie rasch der Funke der Revolte auf weitere Teile der arabischen Welt überspringt. Die Chance auf einen dauerhaften Bruch mit den autoritären Traditionen war auf jeden Fall nie zuvor so groß wie jetzt.

 

 

 

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